Januskopf
»Die Haßfurter Kollegen werden sich sowohl für die Krähenfüße als auch für den Reifen interessieren.«
»Aber ...« Katinka kam in den Sinn, dass damit ihr Königsbergausflug ins Wasser gefallen war.
»Mariele und ihr Vater haben besprochen, was zu besprechen war«, sagte Hardo, der ahnte, was ihr durch den Kopf spukte. »Vielleicht sind sie längst wieder nach Hause gefahren. Außerdem gehört eine Erkältung im Sommer zu den Dingen, die man sich gerne erspart.«
»Veit«, sagte Katinka und verfluchte ihre Gedankensprünge, »soll angeblich auf reifere Frauen stehen.«
Hardo zurrte die Augenbrauen hoch.
»Woher haben Sie denn diese Information?«
»Von Britta. Wissen Sie, was ich glaube? Dass Veit auf Charlotte Isenstein scharf ist.«
»Auf die Mutter seiner Freundin?«
»Allein wie er über Charlotte sprach, als ich mich mit ihm unterhalten habe«, sagte Katinka. »Da klang er so, als bewundere er sie sehr, als wolle er es aber nicht zu deutlich zeigen. Eigentlich kam er während unserer Unterhaltung immer wieder auf Charlotte zurück. Wie tatkräftig sie ist. Wie viel sie arbeitet. Aber für die Jagd nach dem Briefeschreiber wird das wenig bringen.«
»Das würde ich nicht sagen«, sagte Hardo. Er strich sich über den kahlen Schädel. »Sex ist ein starker Antrieb. Und ein starkes Motiv.«
»Sex?«
»Ja.«
»Sie sollten wirklich mal Toms Mutter kennenlernen«, sagte Katinka.
»Wie bitte?« Hardo sah sie so belustigt an, dass Katinka rot wurde.
»Ich meine doch nicht ...«
Er lachte.
»Nicht?«, fragte er leise.
»Sie sind schrecklich«, seufzte Katinka. »Ich habe mich gestern mit Carla über den freien Willen unterhalten. Carla meint, dass es den freien Willen nicht gibt. Dass es sehr viel stärkere Antriebe gibt als den freien Willen. Und es stimmt. Oder? Sie haben es eben selbst gesagt.«
»Meistens ist es so«, sagte Hardo. »Sex. Macht. Geld. Verletzte Gefühle. Alles starke Motive.«
»Dr. Thompson sagte, Wille sei nichts anderes als ein Hirnzustand. Glaube auch. Gefühle auch. Reine Biochemie.«
14. Personenschutz
Hardo lieferte Katinka zu Hause ab und fuhr weg, um sich etwas Trockenes anzuziehen und in der Polizeidirektion nach dem Rechten zu sehen. Dankbar hörte Katinka durch die Wohnungstür Geschirr klappern. Sie schloss auf, ließ die durchweichten Schuhe auf dem Treppenabsatz liegen und ging in die Küche.
Carla saß am Tisch und schnitt Gemüse klein, während Tom in einem Topf rührte, aus dem es nach Curry, Ingwer und Knoblauch duftete.
»Keine Kommentare!«, bat Katinka. »Ich bin schon auf dem Weg in eine dampfende Badewanne. Was kocht ihr da?«
Tom wischte sich die Hände an dem Geschirrtuch ab, das er wie eine Schürze in seinen Jeansbund gesteckt hatte.
»Ich kombiniere, Frau Detektivin, dass du bei deinen Recherchen erstens nass geworden bist und dass zweitens Hardo dich aufgesammelt hat. Die Garderobe des Herrn Hauptkommissar ist wenig fantasievoll.« Tom zupfte an dem blauen Troyer.
Katinka klopfte ihm auf die Finger. Aus den Augenwinkeln sah sie Carla grinsen.
»Ich hatte einen Krähenfuß im Reifen«, sagte sie. »Jemand hat das Reifendichtmittel geklaut, und ihr wart nicht erreichbar, deswegen brauchte ich Hardo als Abholer.«
Die Schüsse verschwieg sie, obwohl sie genau wusste, dass Tom dahinterkommen würde. Er sah sie schon an, als ahne er Schlimmes.
»Moment!«, sagte er und zog den Topf vom Herd. »Krähenfüße?«
Katinka erzählte so kurz wie möglich von dem Motorrad, dem Platten, den Krähenfüßen und ihrer Entdeckung, dass jemand das Dichtmittel aus ihrem Kofferraum genommen hatte. Sprachlos starrte Tom sie an.
»Spinnst du?«, fragte er schließlich, in diesem leisen Ton, der Ärger verhieß. Wer unter Stress steht, verrät die Wahrheit über sich, dachte Katinka und wappnete sich.
»Tom«, sagte Carla, »mach der Frau, die du liebst, ein heißes Bad zurecht. Ich koche die Suppe.«
Katinka warf ihr einen dankbaren Von-Frau-zu-Frau-Blick zu und ging ins Bad.
»Katinka«, flüsterte Tom und schloss die Tür. »Was ist da passiert?«
Er half ihr aus den klatschnassen Jeans, während heißes Wasser in die Wanne floss. Katinka schlüpfte aus Hardos Pulli, kuschelte sich in ein Badetuch und setzte sich neben Tom auf den Wannenrand. Sie berichtete von den Schüssen. Wie sie die Schüsse gezählt und im entscheidenden Moment in Deckung gerannt war. Sie erzählte von dem Gewitter, der berstenden Buche, ihrer Ahnung und rechtzeitigen
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