Januskopf
Flucht auf die Wiese, der Scheune und schließlich von den Spuren ihres Verfolgers im Heu.
»Er hat alles mit angehört«, seufzte sie und fühlte mit der Hand die Wassertemperatur, »und macht sich jetzt einen Reim draus. Verdammt, Tom, wahrscheinlich setzt Hardo mich wieder vor die Tür und ich kann meinen Fall im Rinnstein davonschwimmen sehen.« Sie nieste.
Tom fuhr ihr durchs Haar und küsste sie.
»Du musst dich aufwärmen«, sagte er, »und wo könntest du das besser als in der Badewanne ...«
»... zusammen mit einem Mann«, vollendete Katinka grinsend. Sie wand sich aus dem Handtuch und stieg in die Wanne. Toms blaue Augen leuchteten im Wasserdampf wie Warnbojen auf einer grauen See.
»Übrigens hast du mir auch etwas zu erzählen«, murmelte sie, während sie sich wohlig ausstreckte und die Wärme genoss. »Wie lief es mit Carla?«
Tom schlüpfte aus seinem T-Shirt, ließ Jeans und Boxershorts fallen und kletterte hinter Katinka in die Wanne.
»Erzähle ich dir später. Schande, ist das heiß!«
Katinka lehnte sich an ihn und gab sich seinen Händen hin, die nach Ingwer und Zwiebeln rochen und warm und zärtlich über ihren Bauch wanderten.
Sie aßen spät zu Abend. Ausgehungert stürzte sich Katinka auf die Mulligatawny-Suppe. Sie hatte einen Rollkragenpullover übergezogen und Toms dicke Flanell-Schlafanzughose. Selbst das reichte noch nicht, irgendwo in ihrem Innern steckte ein Eisklumpen fest, den weder das heiße Bad noch Toms Zärtlichkeit hatten schmelzen können. Sie schloss für einen Moment die Augen und hörte die Schüsse tackern. Kaum hatte sie den ersten Löffel Suppe im Magen, klingelte es an der Tür.
»Ich gehe«, sagte Tom.
Gespannt sah Katinka ihm nach. Hardo tauchte auf, in sauberen Jeans, einem frischen karierten Hemd und – o Wunder – schwarzen Trekkingschuhen. Sein Vorrat an Turnschuhen war wohl zur Neige gegangen.
»Guten Abend allerseits«, sagte er, berührte Katinkas Schulter und gab Carla die Hand.
»Carla Nerius, Goldschmiedin«, stellte Katinka vor. »Harduin Uttenreuther, Kriminalhauptkommissar.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Carla.
»Setzen Sie sich.« Tom stellte einen Teller auf den Tisch. »Die Suppe reicht für alle.«
»Das lasse ich mir nicht zweimal sagen«, seufzte Hardo. Er sah Katinka an, viel zu ernst, und sie ahnte, dass Dinge im Schwange waren, die unangenehm werden würden, sehr unangenehm.
»Was Neues?«, fragte sie so beiläufig wie möglich.
Hardo löffelte Suppe. Sein Appetit kannte keine Hemmungen, und üblicherweise weigerte er sich, beim Essen über die Arbeit zu sprechen.
»Lass ihn aufessen«, sagte Tom und tauschte einen Blick mit Carla.
Es geht vorwärts, dachte Katinka. Menschen, die Blicke tauschen, sind sich irgendwann und irgendwie nähergekommen. Sie stand auf und holte für Hardo ein Bier aus dem Kühlschrank. Ungeduldig wartete sie, bis er seinen ersten Teller ausgelöffelt hatte und sich von Tom nachgeben ließ.
»Sie bekommen Personenschutz, Katinka.«
»Ich – was?«
»Wir halten es für das Beste«, sagte Hardo, »solange wir nicht sicher sein können, wer Ihnen nachstellt.«
Toms Hand zitterte, während er Hardo seinen Teller zurückgab.
»Aber was ist mit den Spuren, die Ihre Kollegen gefunden haben?«, fragte Katinka atemlos. »Und aus welcher Waffe wurde geschossen?«
»Ihre Vermutung war richtig. Aus einem Jagdgewehr, einem Luger Kaliber.22«, sagte Hardo. »Und wir wissen auch, wer so eine Waffe besitzt.«
»Wer?«, fragten Tom und Carla simultan.
»Bernhard Kroll.«
»Kroll?«, rief Katinka. »Klar, Kroll ist Jäger.«
»Jungjäger, um genau zu sein. Er hat die Prüfung erst vor einem halben Jahr abgelegt und muss noch eine Weile mit einem ausgewachsenen Partnerjäger auf die Pirsch gehen, bis er selbst seinen Sonntagsbraten erlegen darf.«
»Dann hat Kroll geschossen?«, fragte Tom.
»Langsam«, warnte Hardo. »Zuerst müssen wir feststellen, ob aus seinem Gewehr geschossen wurde. Es ist ein gewöhnlicher Repetierer und in Jägerkreisen weit verbreitet.«
»Aber können Sie das nicht feststellen? Ich meine, schnell? Jetzt?«, drängte Tom.
Katinka schwante etwas.
»Sie haben sein Gewehr noch nicht sichergestellt, oder?«, fragte sie hastig.
»Nein. Es ist Freitagabend«, sagte Hardo. »Die Kollegen tun, was sie können. Wir haben ja außerdem die Ermittlungen in dem Doppelmord an der Backe. Und Kroll ist nicht zu Hause.«
»Dann müssen Sie ihn eben finden!«, schnaubte
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