Januskopf
ignorieren.«
»Aber jemanden zu würgen, aus der Aggression eines Augenblicks heraus, ist doch etwas anderes, als eine Briefbombe zu basteln und sie einer Frau nach Hause zu schicken!«
Katinkas Gedanken kreisten in einem sich immer schneller drehenden Wirbel um sich selbst. Sie legte die Hände auf die Tischplatte. Wenn Tom entführt worden war, dann ging das gegen sie. Gegen ihre Ermittlungen und ihre Verwicklung in den Fall Isenstein.
»Ich schaue bei den Isensteins vorbei«, verkündete Katinka. »Bitte lass mich allein gehen, Carla.«
Carla wehrte sich nicht. Die Panik in ihren Augen tat Katinka weh, aber sie brauchte jemanden, der zu Hause die Stellung hielt.
»Ich melde mich alle zwei Stunden«, versprach sie. »Plus minus zehn Minuten. Es ist jetzt fünf nach fünf. Mein nächster Anruf kommt um sieben. Wenn ich mich nicht melde, dann ruf sofort Hardo an.« Sie kritzelte seine Nummern auf einen Zettel. »Wenn du ihn nicht erreichst, frag nach Polizeimeisterin Kerschensteiner«, fuhr sie fort. »Oder melde dich bei Britta. Sie ist Journalistin.«
Carla betrachte misstrauisch das Blatt mit den Nummern.
»Wie willst du an unseren Bewachern vorbeikommen?«
Katinka grinste.
»Ich schleiche durch den Keller. Es gibt eine Verbindung zum Nachbarhaus.«
»Isensteins werden schlafen.«
»Oder auch nicht.«
Katinka überprüfte den Inhalt ihres Rucksacks, schnallte sich ihre Beretta unter die Achsel und ging.
18. Dämonen
Katinka hockte am Ufer des Alten Kanals, den Rücken gegen den Kran gelehnt, und starrte in das behäbig dahinfließende, braune Wasser. Sie sortierte die Fäden, behutsam darauf bedacht, keine Gedanken an Tom zu verschwenden. Die Panik würde sich nicht allzu lang wegdrängen lassen. Einmal niedergestreckt von der Angst, könnte sie kaum weiterdenken. Besser jetzt den Fall lösen. Schnell. Schnell genug, um Tom zu finden.
Katinka rieb sich mit den Händen über die Wangen. Sie sah nur ein schlüssiges Drehbuch für die Szenerie, in der ein Ehemann und Vater vernichtet werden sollte: Veit und Charlotte. Eine Affäre, heiß und schwül wie dieser Juni, unbedacht und aussichtslos wie die meisten Liebeleien dieser Art. Katinka seufzte. In ihrem Beruf galt es als dilettantisch, sich zu früh auf ein Muster festzulegen. Schon leckte die raue Zunge des schlechten Gewissens an ihren Gedanken. Zu früh, zu früh, du bist dir zu früh zu sicher.
Katinka fuchtelte ein paar Mücken weg.
Es gab keinen anderen sinnvollen Zusammenhang. In Zeil hatte Veit das Eis durch das Fahrerfenster gereicht. Also war Mariele ans Steuer gerutscht und alleine weitergefahren. Die Frage war, wohin Veit gegangen war und was er mit seinem Nachmittag angestellt hatte. Schmerzhaft krampfte sich Katinkas Magen zusammen. Wer immer Tom entführt hatte, wollte, dass Katinka sich mit dem Verschwinden ihres Freundes beschäftigte und nicht mit den Isensteins. Aber da passte noch nichts zusammen. Sie musste an der einzigen Puzzleecke ansetzen, wo sie einen Zusammenhang sah: Die Affäre von Charlotte und Veit.
Veit schreibt Ewald böse Briefe, um ihn vollends um seinen Verstand zu bringen, dachte Katinka. Ewald bricht zusammen. Wird in eine Klinik eingeliefert. Ist außer Sicht. Veit hat erreicht, was er will. Er kann seiner Affäre mit Charlotte nachgehen.
Zwei Fragen, diktierte sich Katinka. Wie kommt Mariele aus der Geschichte raus, und was dachte sich Charlotte, als sie mich engagierte? Sie kann nicht wissen, dass Veit hinter allem steckt, überlegte Katinka. Dass Veit hinter allem stecken könnte . Graben Sie tiefer, Katinka, hörte sie Hardo sagen. Was bewirkt Charlottes Beziehung zu Veit in ihr selbst?
»Schuldgefühle!«, rief Katinka leise, sprang auf und schulterte ihren Rucksack. Charlotte musste gegenüber ihrer Tochter eine verdammt tiefe Schuld empfinden. Immerhin spannte sie ihr den Freund aus. Wie praktisch aber auch für Veit und Charlotte, dass Mariele in Leipzig studierte und nur am Wochenende nach Bamberg kam. Wie praktisch, dass Ewald als Partner nicht mehr zur Debatte stand. ›Er hat keinerlei sexuelles Interesse mehr.‹ Charlottes Worte klangen Katinka noch im Ohr.
Es muss so sein, dachte Katinka. Veit ist in Zeil ausgestiegen. Hat sich sein Motorrad unter den Hintern geklemmt und ist nach Königsberg gerast. Hat die Krähenfüße verstreut und mich zum Halten gebracht.
Sie musste dringend mit Hardo reden. Sie brauchte alle Daten, musste erfahren, wo sich die Isensteins gestern Nachmittag
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