Janusliebe
Wahrscheinlich
hofft Lawrence, dass ich daran kleben bleibe bis an mein Lebensende. Aber er
täuscht sich. Ich hasse Süßigkeiten, vor allem Marshmellows, und dieses Zimmer
sieht aus wie ein riesiger Beutel dieser ekligen Schaumdinger.
Angewidert wandte Carry sich ab und nickte dem Hausmädchen seufzend zu.
«Es ist nett», würgte sie wenig überzeugend hervor.
Das Mädchen knickste wieder. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen,
fand es den Raum mindestens ebenso scheußlich wie Carry, enthielt sich aber ei-
ner diesbezüglichen Bemerkung.
«Haben Sie noch einen Wunsch?», erkundigte es sich nur artig.
Ja, ein anderes Zimmer, hätte Carry am liebsten geantwortet, aber sie verbiss
sich die Äußerung und verneinte freundlich.
Das Hausmädchen knickste daraufhin zum dritten Mal und verließ den Raum
mit eiligen kleinen Schritten. Carry sah ihr neidisch hinterher.
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Daphne, die zehn Minuten später hereinstürzte, prallte entsetzt zurück. «Mein
Gott, ist das hässlich!»
Der Ausruf klang so voller ehrlichem Abscheu, dass Carry lachen musste.
«Nicht wahr, es sieht aus wie eine riesige Schüssel Erdbeereis mit einem di-
cken Schlag Sahne obendrauf?», kicherte sie, froh, wenigstens in Daphne eine Ge-
schmacksverbündete zu haben.
Daphne nickte stumm vor Grauen. Langsam kam sie näher und ließ sich vor-
sichtig auf dem Himmelbett nieder, während sich Carry erneut ihrem Gepäck
zuwandte. Schweigend beobachtete Daphne, wie die Freundin ihre mitgebrachte
Garderobe sorgfältig in den hohen (weißen) Kleiderschrank verstaute, der eine
ganze Wand des Zimmers einnahm. Die wenigen Kleidungsstücke wirkten darin
seltsam verloren. Carry bedauerte es fast, dass sie nicht wie Daphne ihren gesam-
ten Wäscheschatz eingepackt hatte.
Mit einem Ruck schob sie die Schiebetüren zu und wandte sich an Daphne, die
noch immer stumm unter den rosa Wolkenträumen hockte.
«Hast du vor, für immer zu schweigen?», erkundigte sich Carry.
Daphne sah aus, als würde sie eben erst aus einem Alptraum erwachen.
«Nein», murmelte sie. «Aber dieses Zimmer ist wirklich eine glatte Ohrfeige.
Der Innenarchitekt, der das eingerichtet hat, sollte den Rest seines Lebens hier
drinnen verbringen müssen. Was hat sich Lawrence nur dabei gedacht, dich aus-
gerechnet hier einzuquartieren?»
«Keine Ahnung.» Carry hob ratlos die Schultern, während sie schaudernd um
sich blickte. «Auf jeden Fall macht es meine Rache nur noch schrecklicher. Ich
werde Lawrence jede Einzelheit dieser Scheußlichkeit büßen lassen.»
«Na, dafür reicht das Wochenende aber ganz bestimmt nicht. Ach!» Daphne
schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. «Deshalb bin ich eigentlich hier:
Lawrence ist angekommen. Ich bin ihm direkt in die Arme gelaufen, als Vincent
und ich in den Garten wollten.»
«Und wieso sagst du mir das erst jetzt?»
Daphne zuckte erschrocken vor Carrys blitzenden Augen zurück.
«Das Zimmer», murmelte sie entschuldigend. «Es ist einfach zu hässlich.»
Dann glitt ein verschmitztes Lächeln über ihr Gesicht. «Du kannst deine Aktion
sofort starten. Lawrence erwartet dich in seinem Zimmer. Er hat mich beauftragt,
dich umgehend bei ihm abzuliefern.»
Carrys erste Reaktion war ein empörtes Schnauben. Dann warf sie den Kopf
zurück, strich sich sorgfältig die knallenge Jeans über den Hüften glatt und streck-
te ihren wohlgeformten Busen herausfordernd vor, bis sich das sonnengelbe Top
aufreizend darüber spannte.
«So, der Herr erwartet mich also», grinste sie spottlustig. «In Ordnung, ich bin
so weit. Lawrence wird was erleben!»
Von einem Ohr zum anderen grinsend, stolzierte sie aus dem Zimmer.
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Lawrence bewohnte wie sein Bruder zwei große abgeschlossene Räume, die
sich jedoch am entgegengesetzten Ende des Ganges befanden. Carry hatte auf
Daphnes Begleitung verzichtet, die auffallend bereitwillig in ihrem Zimmer ver-
schwunden war. Bevor sie an die Tür klopfte, hinter der Lawrence laut Daphnes
Angaben bereits ungeduldig wartete, zupfte Carry noch einmal das Top zurecht,
schüttelte ihre Haarmähne und hob dann die Hand, um anzuklopfen.
Lawrence’ Stimme drang befehlsgewohnt knapp durch das dicke Holz. Ohne
Zögern drehte Carry den Knauf und schob die Tür auf. Das Erste, was sie regist-
rierte, war, dass dieses Zimmer wesentlich angenehmer ausgestattet war als ihr
eigenes. Es zeigte zwar deutlich einen maskulinen Stil, jedoch nicht dermaßen
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