Janusliebe
Glenda. Man merkte ihr an, dass Doreens Anwesenheit sie zu nerven begann.
Glenda Jones arbeitete am liebsten alleine. Deshalb war sie damals froh und
glücklich gewesen, als Lawrence M. Carlson sie aus dem Pool der Schreibkräfte
hier herauf in das kleine Vorzimmer geholt hatte. Der Raum war zwar nicht beson-
ders groß und bot kaum Annehmlichkeiten, aber sie hatte ihre Ruhe und musste
nur für einen einzigen Menschen arbeiten und nicht für die gesamte Belegschaft
der leitenden Angestellten, von denen einige mindestens genauso schlimme Ma-
cken hatten wie Lawrence Carlson.
Glenda war froh und glücklich in ihrem Job und kam jeden Tag gerne in die
Firma. Sie war zuverlässig, machte Überstunden, ohne zu murren, und freute sich
jeden Monat über den üppigen Gehaltsscheck, der auf ihr Konto flatterte.
Es war das erste Mal, seit sie für Carlson arbeitete, dass sie wegen Krankheit
ausgefallen war. Aber die aggressive Frühjahrsgrippe hatte auch sie so schlimm
erwischt, dass sie einige Tage nicht mal in der Lage gewesen war, von ihrem Schlaf-
zimmer in die Küche zu gehen. Drei ganze Tage hatte sie fiebernd und schwach
im Bett verbringen müssen, aber dann hatte sich ihr Zustand von Stunde zu Stun-
de gebessert, und seit gestern fühlte sie sich wieder fit genug, um ihren täglichen
Pflichten nachzugehen.
Doreen schob den Kaugummistreifen in den Mund und warf das leere Papier-
chen in Glendas Papierkorb.
«Was machen Sie am Wochenende?», fragte sie, während sie genüsslich den
Orangengeschmack aus dem Gummi saugte.
Glenda stieß einen genervt klingenden Seufzer aus.
«Ich fahre in die Nähe von Broomfield.» Sie sah zu Doreen. «Zum Wandern,
und ja, mit meinem Freund. Sonst noch Fragen?»
Doreen schob den Gummi in die linke Backentasche und schüttelte den Kopf.
«Alles klar», sagte sie. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verließ
das enge Büro. Glenda sah ihr hinterher, bis Doreen wieder hinter ihrem gläsernen
Empfangstresen Platz genommen hatte, dann wandte sich Glenda ihrer Arbeit zu.
Sie war zwar kein menschenscheuer Typ, der jedem Gespräch aus dem Weg
ging, aber hier in der Firma schätzte sie diese Kollegengespräche nicht, wie sie
überall üblich sind. Solches Gerede endete meistens in Tratsch und Glenda war
der Meinung, dass ihr Privatleben nicht an die große Glocke gehörte. Es ging nie-
manden etwas an, was sie in ihrer Freizeit trieb und mit wem.
Mit einem weiteren, diesmal erleichtert klingenden Seufzer wollte sie sich
dem Bildschirm zuwenden, um sich durch die Zahlenreihen darauf zu klicken,
aber das Telefon verhinderte ihr Vorhaben. Am Läuten erkannte sie, dass es sich
um ein hausinternes Gespräch handelte, das aus Lawrence Carlsons Büro kam.
«Ja, Mister Carlson?»
«Ich brauche sofort einen Flug nach L. A.», hörte sie die Stimme ihres Chefs.
Er klang gereizt. Wahrscheinlich hatte er sich, genau wie sie, auf ein ungestörtes
Wochenende gefreut. «Sie müssen mich begleiten.»
So viel zum Thema «Freizeit»! Im Geiste strich Glenda ihre Pläne.
«Wird erledigt», versprach sie, ohne sich eine Gefühlsregung anmerken zu las-
sen. «Ich werde versuchen, die Sechzehn-Uhr-Maschine zu bekommen.»
«Tun Sie das.» Lawrence legte auf und Glenda wählte die Nummer der Flug-
vermittlung.
Während sie auf eine Stimme aus dem Callcenter wartete, überlegte sie, wie
viel Zeit ihr blieb, um ihre persönlichen Sachen zu holen. Höchstens eine Stun-
de! Sie würde sich beeilen müssen. Aber zum Glück war sie auf derartige Überra-
schungen vorbereitet.
In den drei Jahren, in denen sie für Lawrence M. Carlson tätig war, hatte sie
mindestens einmal im Monat völlig überstürzt mit ihm irgendwo hinfliegen müs-
sen. Glenda hatte sich schnell angewöhnt, immer eine fertig gepackte Tasche im
Schlafzimmer bereitzuhalten, in die sie vor der Abreise nur noch ihre Hygienear-
tikel hineinlegen musste.
In einem florierenden Unternehmen wie diesem, das seine Waren weltweit
verkaufte, musste man immer mit solchen Überraschungen rechnen. Das hatte
Glenda bereits gewusst, als sie diesen Job angenommen hatte. Auch dieser über-
raschende Eingriff in ihr Wochenende ärgerte sie nicht wirklich. In L. A. war sie
bisher noch nicht gewesen. Die Aussicht, vielleicht wenigstens die wichtigsten Se-
henswürdigkeiten anschauen zu können, versöhnte sie schnell mit ihren geplatz-
ten Plänen. Eine Sightseeingtour durch L. A. war schließlich zehnmal besser
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