Janusliebe
jetzt so nahe, dass sie den Duft ihres fruchtigen Par-
füms riechen konnte. Eine Mischung aus Zimt und Pfirsich und noch etwas ande-
rem, das sie nicht identifizieren konnte. Die kleine Schlampe bemerkte SIE nicht.
Dazu war sie viel zu wütend.
Dumm von ihr, sich hier mitten in der Nacht ganz alleine auf der Straße her-
umzutreiben. Wusste sie denn nicht, dass sich in der Dunkelheit das schlimmste
Gesindel herumtrieb? Drogenabhängige, Diebe, Mörder, Räuber, Vergewaltiger ...
Lauter böse Männer, die nur darauf warteten, einem hübschen jungen Mädchen
ein Messer in den Rücken zu jagen.
Ein langes, blitzendes Messer, etwa in der Art, wie SIE es in der Hand hielt.
Die Klinge blitzte bösartig im Schein der Straßenbeleuchtung. Sie musste es nur
heben, Schwung holen und der Kleinen in den Rücken rammen. Genau zwischen
die Schulterblätter, oder nein, da konnte es an der Wirbelsäule abprallen. Besser,
sie stach es genau zwischen die Rippenbögen. Mitten hinein in die Lunge. Dann
würde endlich Ruhe sein. Die Kleine hatte nichts Besseres verdient. Wer sich so
schamlos an den Mann einer anderen heranmachte, der musste sich nicht wun-
dern, wenn er dafür von der rechtmäßigen Verlobten bestraft wurde.
Einmal war es einer gelungen, SIE ins Aus zu kicken. Die Schmerzen, die sie
dabei empfunden hatte, waren nicht zu beschreiben gewesen. Sie hatte den Mann
damals angefleht, bei ihr zu bleiben, geweint, geschrien, ja, sie hatte sogar vor ihm
auf den Knien gelegen. Aber er hatte sie nur mit diesem kühlen, distanzierten
Blick angesehen, in den sich Verachtung mischte.
«Was glaubst du eigentlich?», hatte der Mann sie verhöhnt. «Dass ich scharf
darauf bin, mit einer hässlichen Kuh wie dir ins Bett zu gehen? Mensch, schau dich
doch mal im Spiegel an. Bei dir vergeht es jedem Mann!» Und dann hatte er gelacht
und sich dabei beinahe in die Hose gepinkelt.
Diesmal würde niemand lachen. ER gehörte ihr und SIE würde alles tun, um
ihn an sich zu fesseln. ALLES.
Mit zwei beinahe lautlosen Schritten war sie hinter der Rivalin. Ihre Finger
umklammerten den Schaft des Messers so fest, dass die Knöchel schmerzten.
Das Heulen der Polizeisirene dicht hinter ihrem Rücken löste ihren Griff. Klir-
rend fiel das Messer zu Boden. Noch bevor sie herumfahren und sich nach dem
Einsatzfahrzeug umschauen konnte, raste es laut lärmend und blinkend an ihr
vorbei. Als es mit quietschenden Reifen um die Ecke bog, atmete sie erleichtert auf.
Rasch bückte sie sich, hob das Messer auf und sah zu ihrer Rivalin, die ebenfalls
erschrocken stehen geblieben war.
Der Bürgersteig lag verlassen vor ihr. Die kleine Schlampe war spurlos ver-
schwunden.
———————
Ihre Nackenhaare sträubten sich. Fast meinte sie, den Atem des Fremden an
ihrem Hals zu spüren. Obwohl sie weder Schritte noch das Rascheln eines Mantel-
oder Jackenstoffs hinter sich hörte, wusste sie, dass ihr jemand folgte. Und er tat
dies nicht, weil sie zufällig denselben Weg hatten, sondern weil er etwas Böses im
Schilde führte.
Die Person näherte sich. Carry überlegte, ob sie sich umdrehen und nachsehen
sollte, wer sie verfolgte. Aber die Angst zwang sie, weiterzulaufen und ihre Schrit-
te zu beschleunigen.
Ach, verdammt! Wieso war sie nicht bei Lawrence geblieben? Dann säße sie
jetzt in dessen Limousine und wäre in Sicherheit.
Okay, sie hätte sich seine schwachsinnigen Beteuerungen, Anschuldigungen
und Anträge anhören müssen, aber angesichts des Ungewissen, das ihr folgte,
wäre dies wirklich das kleinere Übel gewesen!
Die Gefahr hinter ihr wuchs. Carry spürte deutlich, dass sich der Verfolger
zum Angriff bereit machte. Sie spannte ihre Muskulatur, darauf gefasst loszuren-
nen, sobald sich hinter ihr irgendetwas bewegte oder sie berührte.
Und dann war es da.
Carry winkelte die Arme an, um dem Angreifer ihren Ellbogen in den Leib zu
rammen. Schon glaubte sie, ihn direkt neben sich atmen zu hören. Er war mindes-
tens genauso angespannt wie sie selbst. Doch da ertönten in der Ferne die an- und
abschwellenden Sirenen mehrerer Einsatzfahrzeuge. Carry blieb stehen, fuhr her-
um und starrte die einsame Straße hinunter.
Nichts! Sie war ganz alleine.
Aber das schien nur so. Sie wusste ganz genau, dass der Verfolger irgendwo im
Dunkel eines Hauseinganges oder hinter einem Baum oder weiß der Teufel wo auf
sie lauerte und sie beobachtete.
Dann das Zucken rot-gelber Lichter am Ende der Straße.
Sie kickte
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