Jasmin - Roman
die Absicht, hierher zurückzukehren.« Ich gab ihr einen Zettel mit Ednas Adresse und Telefonnummer.
»New Jersey?« Ihre Augen hingen fragend an den meinen.
»Sie hat ihren Mann in der Schlacht um Jerusalem verloren«, sagte ich.
»O Gott!«, rief sie. »Wo wurde er getötet?«
»Am al-Mudawara, der bei uns Munitionshügel heißt. Ich habe sie über die Armee als Soldatenwitwe aufgespürt.«
Schweigen entstand im Raum, ihre Hand fiel von der Stuhllehne.
»Hat sie Kinder?«
»Nein.«
»Was für eine Nachricht, mein Gott«, sagte sie mit blassem Gesicht. »Es ist heiß hier!«, rief sie dann, streifte den Schal und den Pullover ab und legte sie neben sich. Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Ihre Brüste hoben und
senkten sich mit den Bewegungen ihrer Arme, ich spürte, dass mein Blut in Wallung geriet. Ich wollte mich neben sie setzen, mich an sie schmiegen, sie streicheln und umarmen, in ihr versinken. Ich nahm mir eine ihrer schlanken Zigaretten, zündete sie an und inhalierte mehrmals tief. Ich wandte meine Augen von ihr ab, damit sie nicht spürte, was sich in meinem Inneren abspielte.
»Welcher gute Engel hat Sie zu mir geführt?«, flüsterte ich.
»Ich bin in dringendem Auftrag meines Vaters gekommen.« Sie legte die Zigarette in den Aschenbecher, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich erkennbare Anspannung ab. »Es ist wegen Senator Antoine, er ist gestern Nacht ins Krankenhaus gekommen, völlig in Panik, und hat erzählt, ihm seien Gerüchte zu Ohren gekommen, dass man ihn demnächst ausweisen wolle wegen irgendeines dummen Interviews, das er der Washington Post gegeben hat. Die Israelis hätten seine Worte aus dem Zusammenhang gerissen, behauptet er. Mein Vater bittet darum, wenn es Ihnen keine Mühe macht, dass Sie klären, ob etwas Wahres an diesen Gerüchten ist und was man tun könnte.«
»Jasmin, haben Sie das Interview gelesen? Er sagt dort schwerwiegende Dinge, vergleicht die Israelis mit den Nazis! Hier geht es nicht um ein ›Worte-aus-dem-Zusammenhang-Reißen‹. Es ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Frage ist, ob er gewillt ist, seine Äußerungen zu mäßigen, sich zu entschuldigen, eine Erklärung abzugeben.«
»Man sagt bei uns: ›Wie zieht man den Esel aus dem Dreck?‹«, zitierte sie eine bekannte arabische Redensart. »Ich kenne den Senator seit meiner Kindheit, ich erinnere mich an ihn wie an einen guten Großvater. Er ist ein Dickkopf, aber er ist kein schlechter Mensch, und ihn aus seinem Land und seinem Haus zu vertreiben wäre für ihn wie ein Todesurteil, besonders in seinem Alter. Er ist auch nicht gesund.« Sie blickte mich an und schlug die Augen nieder.
Sie sah müde und verstört aus. Sie nahm ihre Tasche, holte einen
kleinen Spiegel heraus, ordnete ihr Haar und fügte mit einem kleinen Lächeln hinzu: »Ich habe mich ein bisschen verkleidet, ich wollte auf dem Weg hierher nicht erkannt werden. Ich sehe schrecklich aus.«
»Sie sind wunderschön …«
»Ich habe sehr wenig geschlafen heute Nacht«, sagte sie und streichelte, ohne sich dessen bewusst zu sein, ihr Bein.
Ich lehnte mich im Stuhl zurück, lockerte den Krawattenknoten und schloss für einen Moment die Augen, unschlüssig, was ich tun konnte. Stille herrschte im Büro, ich hörte ihre Atemzüge. Sie ist so nah, dachte ich. Ich wollte, dass sie meine Stirn, mein Gesicht streichelte, ich wollte ihre Handflächen ergreifen, an ihnen riechen wie bei einem Baby, ihre Finger einzeln küssen. Mein Herz pochte.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte sie mit einem Anflug von Sorge in der Stimme.
»Ja, nur ein bisschen müde. Ich hatte Sehnsucht nach Ihnen …« Ich vermied ihren Blick.
»Ich bin auch müde. Das Schreiben der Doktorarbeit saugt mich aus, und das zusätzlich zu der normalen Arbeit im Jugenddorf.«
»Wie geht es dort, wie integrieren Sie sich?«, erkundigte ich mich.
»Die Arbeit sagt mir zu, sie ist abwechslungsreich, professionell, es gibt viel zu tun, und die Arbeit lohnt sich. Es gibt in dem Dorf ungefähr zweihundert Kinder, es dient als Pflegeeinrichtung und Zuhause für körperlich und geistig behinderte Kinder, aber es kommen auch verwahrloste Kinder dorthin, die eben unter der Vernachlässigung seitens ihres Umfelds leiden. Ich arbeite dort bei der Diagnosestellung. Jedes neue Kind kommt zu mir zur Diagnose, und ich bin sehr vorsichtig, bevor ich es als geistig zurückgeblieben einstufe, um bei denen, die es gar nicht sind, keinen Schaden
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