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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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ganzes Leben ereignete sich hier. Und jetzt nichts, nur wandernder Sand, als wären wir nie dagewesen.
    Nicht weit von hier liegt der alteingesessene Moschav Pardes Hanna, Häuser aus Stein und Beton, grüne Wiesen und rote Rosen,
bewirtschaftete Felder und blühende Plantagen. Und Informationstafeln, Clubs, ein Kino und eine Schule, Krankenkasse, Läden und Supermarkt für die regulären Einwohner. Dort fielen wir immer ein wie die Heuschrecken, stahlen Gemüse, Mandarinen und Orangen aus Hunger und aus dem Neid des Flüchtlings heraus. Der Zwang, zu stehlen, etwas in den Hemden zu verstecken, wie Verbrecher vor dem Besitzer davonzulaufen, wegen einer Mandarine oder Gurke, war erniedrigend. Ich weiß nicht, wen ich mehr verabscheute, sie oder uns selbst.
    Es war ein elendes Lager, wild, traurig. Und trotzdem habe ich in der Zeit viel gelernt. Ich habe hier angefangen zu begreifen, dass ein streunender Hund, der im Abfallhaufen um sein Leben kläfft, einem Löwen, der sorglos in seinem Reich lagert, vorzuziehen ist.«
    Wir setzten die Fahrt fort. Jasmin schwieg. Im Wadi Ara, durchsetzt von arabischen Dörfern, sah sie mich an und sagte: »Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Besatzer genau wie wir mit Wunden im Herzen herumlaufen.« Und dann fragte sie: »Soll ich dich ablösen? Das Fahren ermüdet.«
    »Danke, nicht nötig, wir kommen gleich im Kibbuz an.«
    Kiriat Oranim wurde in der Ferne sichtbar. Krallte sich mit Zähnen und Klauen an die Abhänge des Berges, umarmte die Felsen und die Ausläufer des Waldes, stark und fruchtbar.

42.
    DER FLUG DER MÖWEN
    Am Kibbuzeingang drosselte ich die Geschwindigkeit und hielt am Anfang der Palmenallee. Nicht alle Palmen standen noch aufrecht. Achtzehn Jahre waren vergangen, seit ich zum ersten Mal hierher gekommen war - ein dreizehnjähriger Junge, der gebrochenes Hebräisch mit schwerem arabischem Akzent sprach, ein kleiner Flüchtling aus dem Irak, der aus seinem Zuhause im Immigrantenlager geholt und in die Jugendgemeinschaft des mythischen Kibbuz geschickt worden war. Und von dem Tag an, an dem ich gezwungen wurde, ihn nach einer dreijährigen Erziehung, die meine Welt von Grund auf veränderte, zu verlassen, litt ich an Schuldgefühlen: Ich hatte Verrat begangen, ich war den Weg der Verwirklichung des Ideals nicht zu Ende gegangen, ich hatte die Götter, die Schöpfer der neuen Welt, enttäuscht.
    Und nicht nur ich hatte sie enttäuscht. Schon während ich mich dort aufhielt, war Gabi weggegangen, der älteste Sohn des Kibbuz. Schwere Trauer hatte sich damals auf alle herabgesenkt, als sei er nicht zu einem anderen Leben aufgebrochen, sondern gestorben und ins Totenreich hinuntergewandert. Überall hatte man von seinem Weggang geredet, im Schweinestall und im Kuhstall, bei der Feldarbeit und der Viehfütterung, in der Näherei und im Kleiderlager, in der Wäscherei und im Kinderhaus. Bedrückt begegneten uns die Kibbuzmitglieder auf den Pfaden und Bürgersteigen, sahen uns, die Kinder der Jugendgemeinschaft, nicht mehr direkt an. Gabi, der schöne Sabre, der Inbegriff des neuen Juden, der begabte Dichter, ging fort. Er und seine Tamima, die Tänzerin.
    Es war Liebe auf den ersten Blick, ein Blitzschlag gewesen, die
ihr ganzes Leben veränderte. Er traf sie in Tel Aviv, in einem Theaterfoyer, blieb über Nacht bei ihr, kam am nächsten Tag mit ihr in den Kibbuz, und sie bezogen ein Familienzimmer. Einige Tage später borgten sie sich, wie es üblich war, von der Kibbuzverwaltung den Ehering und heirateten auf dem Rabbinat in Afula. Auf dem Hochzeitsfest tanzten sie den »Flug der Möwen«, in einer verzauberten Nacht, in der die beiden zum Gegenstand all unserer Träume wurden.
    Mit der Zeit begann Tamima unter der Last des Kibbuzlebens zu leiden. Die Arbeit im Gemüsegarten fiel ihr schwer, ihr Körper verlor seine Elastizität, und sie hatte das Empfinden, als hätte man ihr die Flügel gestutzt. Auch Gabi begann zu spüren, dass ihm das Nest, in dem er geboren worden war, zu eng wurde, und wollte die Viehweiden mit der Dichterfeder vertauschen. »Die Verwirklichung des Ideals ist wichtiger als die Kunst«, flehten sie ihn mit Inbrunst bei der Mitgliederversammlung an, als er mitteilte, dass er den Kibbuz verlasse. Sie bezichtigten ihn »der Verleugnung des Traums seiner Väter«, des »frechen Egoismus der Selbstverwirklichung«, und seine »Fahnenflucht« blieb eine offene Wunde in ihrer Seele.
    Später, als ich mich zwischen dem Kibbuz und dem Immigrantenlager

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