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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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darüber erhob sich die antike Steinfestung. Eine Idylle aus einer anderen Welt. Jasmin lehnte sich an meine Schulter, und ich vergrub meinen Kopf in ihrem Haar, berauschte mich an dem Duft, der sich mit dem Geruch des Meeres vermischte.
    Das schöne Meer bei Jaffa ließ aus den Kammern meiner Erinnerung Ghadir emporsteigen, die hier geboren worden und vor nicht langer Zeit ermordet worden war. Meine Stimmung verdüsterte sich.
    »Was ist los?«
    »Ich musste an Ghadir denken.«
    Jasmin nahm meine Hand und führte mich ans Meer. Lange Zeit wanderten wir barfuß den Strand entlang. Zwei Greise, die alte Angeln reparierten, lächelten bei unserem Anblick. Geruch nach Fisch hing in der Luft. Ein Möwenschwarm kreiste über uns und segelte dann westwärts in den blauen Himmel.

    Wir kehrten zum Auto zurück. Ich betrachtete Jasmin, die den Sand von ihren Fußsohlen abschüttelte und ihr Haar hochsteckte. »Meine Geliebte mit dem weißen Hals«, sang ich im Stillen für sie das Lied von Jakov Schabatai.
    Wir erreichten Tel Aviv, eine Stadt, blank und unbekümmert wie die Wellen des Meeres. Männer und Frauen, kleine Kinder und runzlige Alte, attraktive junge Mädchen und Burschen füllten den Strand, räkelten sich im Schatten oder bräunten sich in der Sonne, machten Gymnastik, liefen oder aßen irgendetwas. Hitze und Sand, Geschrei und unaufhörliche Bewegung.
    »Eine neue, weltliche Stadt, materialistisch und quicklebendig«, sagte ich, »hier kann man leben, in Jerusalem beten.«
    »Welch einen wunderbaren Namen ihr für die Stadt gewählt habt, Tel Aviv, der Frühlingshügel, tel al-rabi’, spring hill, la colline du printemps«, rollte sie den Namen in den verschiedenen Sprachen auf ihrer Zunge.
    »Diese Stadt ist die Schmiede des modernen Israelitums. Jedoch ohne Jerusalem, das neun Maß an Schönheit und neun Maß an Kummer beigetragen hat, wäre sie nicht möglich. Zwei Waagschalen, antik und modern, Wurzel und Zweig.« Sie schwieg.
    »Wie kommt eigentlich dein Jugenddorf voran?«, fragte ich dann.
    »Ist stecken geblieben«, sagte sie und senkte den Blick. »Ich bin an den falschen Partner geraten. Statt gemeinsam ein Jugenddorf zu errichten, wollte unser heiliger Bischof einfach mit mir schlafen. Einmal hat er mich beinahe vergewaltigt. Das war an dem Abend, an dem wir uns im al-Hurrije treffen sollten.«
    Sein unangenehmes Lachen hallte in meinen Ohren. Schon damals, in seiner Kirche, hatte er wie eine gierige Hyäne auf mich gewirkt.
    »Ich habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass er nur Frauen und Geld im Kopf hat. Er ist ein besessener Spieler. Auch das Geld, das wir für den Bau des Dorfes gesammelt haben, hat er durchgebracht. Wer hätte das gedacht?«
     
    Wir fuhren weiter nach Norden, und ich fand mich im Immigrantenlager nahe Pardes Hanna wieder, das einmal unser Zuhause gewesen war. Jenseits der heruntergekommenen Straße, in einem menschenleeren Feld, stand eine Vogelscheuche in Lumpen gekleidet auf ihrem Posten.
    Weiße, öde Sanddünen erstreckten sich vor uns, so weit das Auge reichte. So gut wie nichts war von dem riesigen Übergangslager übrig geblieben. Nur hier und dort hatten Zeltfetzen überlebt, die sich geweigert hatten, im Sand unterzugehen, hier ein umgekipptes Notzelt, dort eine windschiefe verrostete Blechbaracke und - Toiletten: runde, leicht erhöhte Betonpodeste, in denen riesige, furchterregende Löcher gähnten. Diese Toiletten, die seinerzeit für die Soldaten der britischen Mandatsregierung erbaut worden waren, standen immer noch, Andenken an ein Imperium, das aus und vorbei war. Die Ränder der schmalen Straße, die das Lager durchquerte, waren von Wind und Regen ausgespült und abgeschwemmt. Wir gingen zu dem weißen Sand hinunter, die Erinnerungen lenkten mich dahin.
    »Hier habe ich meinen Turm von Babel entdeckt, ein Wirrwarr von Sprachen und Kulturen entwurzelter Menschen, die sich genau hier zusammengeschart hatten, um Erlösung zu finden. Aber auf dieser blanken Erde fühlten wir uns armselig wie Bettler, vielleicht wurden hier auch meine Träume geboren, auszubrechen, zu leben, etwas in der Welt zu verändern.«
    Was war los mit mir? Ich hatte nie daran gedacht, dass ich ausgerechnet davon reden würde. Diese Dinge sprach ich schließlich nicht einmal vor mir selbst aus. Doch Jasmins aufmerksame Augen hatten den Schlüssel zu meinem Herzen gefunden.
    »Siehst du diese Ödnis? Hier standen hunderte Zelte. Tausende lebten hier, Flüchtlinge und Vertriebene. Ein

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