Jasmin - Roman
solche Sorgen gemacht«, sagte sie und ließ den geräumigen Peugeot an.
Die liebenswürdige Sandra, ein Mädchen, wie es sein sollte. Sie war von der Georgetown University nach Jerusalem gekommen, um ihr Hebräisch zu vervollkommnen, hatte an einem Tanzabend für Neueinwanderer einen jungen Mann getroffen, sich in ihn verliebt, doch er war ihr davongelaufen und nach Europa gefahren, um dort ein Spion zu werden, und bevor sie begriff, warum und weshalb, brach der Krieg aus, und der Junge kehrte überraschend zurück, rief sie an, rannte aufs Schlachtfeld und wurde verwundet.
»Sandra, die Geschichte von dir und Kabi ist ein Stoff für einen Hollywoodfilm.«
»Für ein italienisches Melodram«, lachte sie, »aber sie hat noch kein Ende.«
Ich erzählte ihr von dem Herzanfall meines Vaters.
»Das tut mir furchtbar leid. Kabi wird es schwer nehmen. Warum hat eure Mutter es mir nicht gesagt? Ich hätte ihnen helfen können, ich hätte sie gefahren.«
Das Krankenhaus war voll bis auf den letzten Platz. Kabi war nicht in seinem Zimmer. Nach langem Suchen fanden wir ihn schließlich in der Cafeteria. Er trug einen großen Verband um seinen linken Oberarm und die Schulter. Wir fielen einander in die Arme.
Ich betrachtete ihn: Ich hatte einen schönen Bruder. Er hatte
sich einen Bart wachsen lassen, der ihm gut stand. Er war größer als ich, einen Meter siebenundachtzig, kräftig und breit. Seine Augen waren weich und braun, sein jungenhaftes Lächeln war herzgewinnend. Ich hatte ihm nie Komplimente gemacht, nur einmal hatte ich halb im Scherz bemerkt: »Du hast nicht nur das Erstgeburtsrecht, sondern auch alle Vorzüge von Papa und Mama bekommen, uns hast du nur Brosamen übrig gelassen.« Er war rot geworden.
»Wie ist es passiert?« Ich deutete auf den Verband.
»Ein Splitter hat mir eine Sehne zerrissen und den Knochen angekratzt. Es ist nichts, in ein paar Tagen werden sie mich entlassen. Ich habe leichte Temperatur, sie warten, bis sie vergeht, dann noch Physiotherapie, und das war’s«, antwortete er und fragte mich schnell: »Mein kleiner Bruder, was ist deiner Meinung nach das Wichtigste, das in diesem Krieg passiert ist?«
»Nachdem du damit wohl nicht meinst, dass wir den Pharao geschlagen haben, habe ich keine Ahnung. Ich bin ganz Ohr«, antwortete ich.
»Es war unser Krieg.«
»Ja und? Vielleicht der der Engländer? Der Franzosen?«
»Du verstehst nicht. Schau dich um, die meisten Verwundeten sind von der großen Immigration, der Massenalija, wie sie uns bezeichnen. Iraker, Rumänen, Marokkaner, Tunesier, Türken, Perser …«
»Siebzehn Kameraden sind aus den Katamonvierteln gefallen«, sagte ich.
»Das ist eine Revolution. Von jetzt an ist es genauso unser Land wie ihres.«
»Kabi, ich muss dir etwas sagen. Erschrick nicht. Papa ging es nicht gut, etwas mit dem Herzen …«
»Was, wann?«, flüsterte er und schob das Essen beiseite.
»In der Nacht, in der du eingerückt bist.«
Seine Augen wurden schmal. »Wie geht es ihm, sag mir die
Wahrheit«, verlangte er. Ich wiederholte für ihn alle Einzelheiten, die ich wusste.
»Und wie ist es jetzt?«
»In Ordnung, Mama pflegt ihn, kocht ihm Diätgerichte …«
»Haben Sie dich deswegen aus dem Reservedienst heimgeschickt?«, unterbrach mich Kabi.
»Wieso? Der Minister hat mich angefordert. Ich soll ihm Petitionen und Aufrufe übersetzen. Er braucht mich, damit ich ihm ›Geistesströmungen aus dem Osten der Stadt‹ bringe, damit er sich vor dem Regierungsoberhaupt damit brüsten kann, dass er eigene Quellen hat.«
»Wieso das Herz?«, fragte er, zündete sich eine Zigarette an und hüllte sich in eine Rauchwolke. Kabi und Vater liebten sich tief und innig, er war Papas Augapfel. Bis zur Bar-Mizwa saß mein Vater immer vor dem Einschlafen neben ihm, wie bei einem kleinen Jungen, und Kabi umarmte ihn und hielt seine warme Hand fest, bis er einschlief. Wenn Vater ausging, ins Hotel, um sich zu amüsieren, oder ins Theater, um sich die Sängerin Salima Pascha, seine Jugendliebe, anzuhören, schlief Kabi nicht, sondern wartete, bis er zurückkam. Vater weihte ihn, wie es dem ältesten Sohn gebührte, in seine Geheimnisse und die Familienangelegenheiten ein. Er allein hatte damals in Bagdad über das Waffenversteck in unserem Zuhause Bescheid gewusst.
»Wie steht es mit ihm? Sag die Wahrheit«, verlangte er wieder.
»Er fühlt sich jetzt gut, ich schwör’s, ein bisschen dünn und schwach, aber er hat es hinter sich. Hat zu rauchen
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