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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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offen an den Haken hing, zu den Kleider-, Gemüse- und Obstständen, den Speisen und Süßigkeiten, Gasse um Gasse mit ihren Farben und Gerüchen, säuerlich und süß, frisch und abgestanden, abstoßend und lockend, die Nase verwirrend. Die Gerüche Bagdads stiegen in Mamas Nase, und sie streckte sich fröhlich zu ihrer vollen Größe.

    Wir blieben stehen und betrachteten die Menschen. Welche Buntheit, welche Gegensätze, verschiedene Kulturen Seite an Seite, ohne Berührung miteinander. Hier arabische Frauen mit Gesichtsschleier, der nur die Augen freiließ, und ehrwürdige Männer mit langem Gewand, mit breiten Gürteln und Kafijas oder Bauern mit ihren Körben und ihrer schlichten Kleidung, und dort unverhüllte Frauen in moderner Kleidung, die eine oder gar zwei Handbreit Haut entblößte. Wie fühlten sich diese Männer angesichts der Mädchen in den Miniröcken, die plötzlich die Gassen überfluteten? Was dachten die Frauen unter ihren Schleiern?
    Tumult und Lärm. Hunderte Menschen, die meisten Juden, stürzten sich auf die Delikatessenstände, kauften Baklava, Dörrobst, Wassereis, ausländische Getränke, Käsesorten, Fisch und geräuchertes Fleisch, und danach fielen sie wie ein Heuschreckenschwarm über die Elektro-, Haushaltswaren-, Möbel- und Antiquitätenläden her.
    »Pass auf, dass sie dir nicht in die Tasche greifen«, rief meine Mutter, der Gedränge Furcht einflößte.
    «Das ist eine Stadt der Zadikim, der Gerechten«, antwortete ich ihr mit einer Wendung, die ich von ihr gelernt hatte. Die Bangigkeit in ihrem Blick wich einem leisen Lächeln.
    Sie wollte meinen Vater überraschen und ihm getrocknete Maulbeeren kaufen, die er liebte, doch sie fand sich am Eingang eines Stoffladens wieder und konnte der Versuchung nicht widerstehen. Der Verkäufer, der den Kopf auch in dieser Sommerhitze mit einer Kafija umwickelt hatte, präsentierte ihr Stoffmuster und wandte sich wieder einer anderen Frau zu, die kein Arabisch verstand. Meine Mutter betrachtete die Stoffe, und gleichzeitig übersetzte sie und vermittelte zwischen den beiden.
    »Lern Hebräisch, und du wirst gute Geschäfte machen«, sagte sie zu ihm.
    »Gott bewahre! Wie lange werdet ihr schon hierbleiben? Einen Monat, zwei Monate!«

    »Das überlass Gott«, erwiderte meine Mutter.
    »Mein Sohn, diese Tage sind wie Flitterwochen«, sagte sie zu mir, als wir das Geschäft verließen, und sie gab sich nicht zufrieden, bis wir den duftenden Gewürzmarkt erreicht hatten. Im hinteren Teil einer Gasse fand sie einen Laden mit allerfeinsten getrockneten Früchten und orientalischen Süßigkeiten und begnügte sich nicht mit getrockneten weißen Maulbeeren, sondern erstand auch noch getrocknete kleine Feigen, die wir seit Bagdad nicht mehr gekostet hatten, Aprikosen und Pflaumen, Datteln und Pistazien, schwarze Melonenkerne, kaufte noch und noch und konnte sich gar nicht sattsehen.
    Mit einer Überfülle duftender Tüten, gefüllt mit allen Spezereien, mit denen die Altstadt gesegnet war, gelangten wir zum Jaffator. Ich wollte ihr ein Taxi bestellen, doch sie bestand darauf, mit dem Autobus nach Hause zu fahren.
     
    Am Mittag erwartete mich eine Besprechung mit dem Bürgermeister. Ich beschloss, unterdessen in mein neues Büro zu fahren. Es waren erst wenige Tage vergangen, seit mir Herr Soli Levi dort Zugang verschafft hatte, doch ich hing bereits daran und wusste, es würde mir ein zweites Zuhause werden. Herr Levi, Repräsentant der staatlichen Grundstücksverwaltung Israels, war mazedonischer Abstammung und hatte mir gleich in unserem ersten Gespräch erzählt, dass sein Vater zu Zeiten von Ragheb al-Naschaschibi, dem Bürgermeister, der mit einer Jüdin verheiratet war, Stadtingenieur gewesen sei. Kraft seines Amtes wurde Soli Levi über Nacht zum Verwalter des öffentlichen Eigentums und der Liegenschaften der Regierung Seiner Majestät König Husseins. Er führte mir einige Gebäude vor, die mir äußerst unansehnlich erschienen, bis er mich zu einem kleinen Haus, umgeben von einem schönen Garten, in Scheich Dscharrah brachte.
    »Hier war das Büro des Gründers der PLO, Ahmed Schukeiri«, sagte er. Der Name traf mich wie ein Schlag. Er war ebenjener Mann, dessen giftiges Lachen in den Tagen des Wartens aus jedem
Radioempfänger hallte: »Israel, du hast einen Kopf aus Wachs, warum gehst du in der Sonne?« Dieser Schukeiri war kein Palästinenser, sondern ein Libanese aus Tibnin, bekannt als durchtriebener Rechtsanwalt und talentierter

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