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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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von Sonja, meiner Instruktorin im Kibbuz. Nach ein paar höflichen Fragen zu meinem Wohlergehen schrieb sie, dass unser Kamerad »Herr Weltvision«, womit Amram Aiwa gemeint war, am ersten Kriegstag gefallen war. Die Nachricht war ihr zugestellt worden, obwohl er den Kibbuz schon längst verlassen hatte. Er hatte bei seiner Einberufung zum Militär den Kibbuz als seine Adresse angegeben, weil er zu den Fallschirmspringern wollte und dachte, das würde helfen. Sonja bat mich, ein paar Worte zu seinem Monatsgedenktag bei seiner Familie zu sprechen, die in Netania wohnte.
    Ich legte mich mit Tränen in den Augen aufs Bett und erinnerte mich an unsere Tage im Durchgangslager Achusa am Karmel und in der Jugendgemeinschaft im Kibbuz. Im Halbschlaf wirbelten flüchtige Bilder durch meinen Kopf, von denen eines alle überlagerte: Amram, gesund, stark und muskulös, stand im Zentrum eines Kreises, um ihn herum Dutzende Jungen und Mädchen, die bewundernd verfolgten, wie er Eisenstangen mit seinen Händen verbog. Bravogebrüll schlug ihm von allen Seiten entgegen, und er entfernte sich von dort, stolzierte wie ein Pfau, ein gertenschlankes, hübsches rumänisches Mädchen an seinem Arm.

7.
    »WI KRICHT MAN AROIS?«
    Das »Buch der Aggada« von Bialik und Ravnitzky, das mir Professor Schadmi gab, als ich aus dem regulären Militärdienst entlassen wurde, war mir sehr ans Herz gewachsen. Seit damals lag es stets auf meinem Tisch, ich schlug es von Zeit zu Zeit auf und staunte immer wieder über die Einsicht unserer alten Weisen und ihre Redensarten.
    Zu dieser Zeit kam mir Rabbi Jochanans Satz wieder ins Gedächtnis: »Der Sohn Davids wird nicht kommen, außer in einer Generation, die ganz und gar gerecht oder ganz und gar schuldig ist.« Ich wartete zwar nicht auf den Messias, auch war ich nicht der Ansicht, dass die Gesamtheit der Menschen jemals gerecht oder schuldig sein könnte, doch eine Art Vorgeschmack der Tage des Messias hing mit der Befreiung Jerusalems in der Luft und ein Gefühl großer Gerechtigkeit und zugleich großer Furcht davor, dass die Dinge eine unglückliche Wendung nehmen würden und wir unsere Seele aufs Spiel setzten.
     
    Jetzt, wo die Klagemauer in unseren Händen war, war es auch möglich, meiner Mutter eine Freude zu machen und sie dorthin mitzunehmen. Meine Mutter war aufgeregt. In der Nacht davor träumte sie von ihrem Vater, einem gottesfürchtigen, demütigen Rabbiner, aber sie erinnerte sich nicht, was sie geträumt hatte, stand nur mit einem Gefühl vager Bedrängnis auf. Zahlreiche Umwälzungen waren ihr in Israel widerfahren, doch sie war nie von ihrer Frömmigkeit abgewichen, hielt den Schabbat ein, die Speisevorschriften und die frommen Gebote. Gleichzeitig aber war sie nachsichtiger mit uns geworden, zwang ihre Haltung
nicht ihren Söhnen auf. Es schien, als habe sie sich daran gewöhnt, dass es möglich war, ein guter Jude zu sein, auch ohne sämtliche religiösen Gebote zu beachten.
    Als wir den Platz vor der Klagemauer erreichten und sie die Steinwand sah, erschien auf ihrem Gesicht jenes Leuchten, das ich beim Gebet an Jom Kippur bei ihr kannte. Sie blickte fast etwas zweifelnd auf die großen, bemoosten Steine, auf die Zettelchen mit den Bitten, die in den Ritzen steckten, und dann sah sie mich einen Moment an, als wollte sie etwas sagen, tat es aber nicht, sondern ließ mich zurück, schritt auf die Mauer zu, streichelte zärtlich die Steine und verschwand in einer Gruppe Betender.
    Eine Menschenmenge hatte sich zu dieser Morgenstunde auf dem Platz zusammengefunden. Religiöse und Weltliche, Touristen, Polizisten und Soldaten, die mir trotz aller Unterschiede plötzlich wie eine große Gemeinde von Pilgern aus vergangenen Tagen erschienen. Ich beobachtete sie von der Seite aus, versuchte mir auszumalen, wie dieser Ort in seiner antiken Pracht ausgesehen haben mochte. Ich musste lange warten, bis meine Mutter wieder auftauchte. Erst jetzt, außerhalb ihres Hauses, inmitten der Masse fremder Menschen, sah ich, wie klein und zart sie war. Ihr Gesicht wirkte nun entspannt. Sie sagte, sie habe sich an den Traum von ihrem Vater erinnert, er sei ein heiliger Mann gewesen und habe sein ganzes Leben an der Klagemauer beten wollen, was ihm aber nicht vergönnt gewesen war.
    Wir ließen uns vom Strom der Passanten mitziehen. Tausende fluteten zu den dunklen Eingangsbereichen und von dort hinaus in die schweißtreibenden Gässchen des Basars. Zur Ledergasse und zu der Gasse, in der das Fleisch

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