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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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zuwandte und mit kühler Höflichkeit fragte: »Madame, vous désirez?«
     
    Ja, die einfachen Leute hier hatten einen besonderen Charme, waren gastfreundlich, so stellte sich den europäischen Touristen wohl »der Orient« dar. Und ganz »neugierige Touristin«, fragte sie die Verkäufer, wie sie sich nach der Eroberung fühlten.
    »Good. Very good money«, antwortete der Junge und unterstrich seine Aussage mit einem Aneinanderreiben von Daumen und Zeigefinger. Er näherte sich ihr, und sie trat einen kleinen Schritt zurück, darauf bedacht, ihn nicht zu beleidigen, doch eine Grenze zwischen ihnen ziehend.
    Drei Jüdinnen betraten das Geschäft und begannen, die Waren und die bestickten Kleider zu betasten, während sie sich lauthals miteinander berieten, als befänden sie sich im Hof ihres
Hauses. Hin und wieder wandten sie sich in einem lächerlichen Kauderwelsch aus Hebräisch und schlechtem Arabisch an die Verkäufer und schienen weder durch ihre gebrochene Sprache noch dadurch, dass sie sich bei palästinensischen Arabern befanden, irgendwie verunsichert. Auch die Ladeninhaber stießen sich ganz und gar nicht an ihrer Sprache oder an ihnen, bemühten sich freudig und entgegenkommend um sie. Einander gegenüber standen Händler, die etwas verkaufen wollten, und Käufer, die etwas erwerben wollten, mehr nicht. Keine Feinde, einfach Menschen, die etwas verdienen wollten, und Menschen, die etwas Neues haben wollten und sich über eine Kleinigkeit wie bestickte Stoffe freuten. Wo waren die Parolen? Was hätte Faiz angesichts dieser Szene gesagt? Sie jedenfalls verzichtete auf ihre konspirative Absicht, den Ladeninhabern zu erklären, dass sie aus London gekommen sei, um ihnen ihre Solidarität in diesen Tagen des Unglücks auszudrücken.
    Eine der Jüdinnen trug einen Davidstern wie Edna Mazursky, die Freundin aus ihrer Kindheit. Auch sie selbst hatte so einen, die süße Edna hatte ihr einen goldenen Davidstern genau wie den ihren geschenkt, und sie hatte ihn sogar ein paar Tage getragen, bis sie an den Reaktionen ihrer Umgebung erkannte, dass das nicht angebracht war. Sie hatte ihn in den Schrank gelegt, hatte ihn immer noch, hatte nicht vergessen, ihn auch auf die große Flucht damals mitzunehmen. Bei Gott, sie würde Edna finden.
    Bevor sie das Geschäft verließ, deutete sie auf einen bunten Kaftan, der Verkäufer nannte den Preis, und sie feilschte nicht. Vielleicht wegen dieser lärmenden Jüdinnen, die um jeden Groschen stritten, vielleicht aus Loyalität ihrer Verkleidung als Touristin gegenüber. Oder vielleicht nur so, um diesem Jungen, der um sie herumtänzelte, eine Freude zu machen.
     
    Jasmin schlenderte weiter durch den Basar und wurde vom angenehmen, vertrauten Duft der Süßigkeiten angezogen, von Lokum und Baklawa, von Kanafa, dessen salziger Käsegeruch zusammen
mit dem geschmolzenen Zucker ihre Nasenflügel kitzelte. Sie konnte sich nicht beherrschen und betrat ein großes Geschäft, bestellte sich einen Teller Kanafa und wurde wieder zum kleinen Mädchen, das Süßigkeiten über alles liebte. Nicht so schlimm, morgen würde sie wieder sie selbst sein.
    Ihre Stimmung besserte sich, und sie beschloss, Geschenke für die Pariser Freunde zu kaufen: für Faiz, den Anführer der Fatah dort, erstand sie geröstete Pistazien und Melonenkerne, für Suha, ihre Freundin an der Universität, kandierte Orangenschnitze, deren bittersüßen Geschmack sie so sehr liebte, und sie kaufte auch noch fünf kleine versilberte Anhänger in Kreuzform, um sie bei passender Gelegenheit zu verteilen.
    Spontan beschloss sie, das Schreibwarengeschäft aufzusuchen, in dem sie auch einen der geheimen Briefe abgeben sollte. Faiz hatte ihr das Bild des Ladeninhabers gegeben. Als sie dort eintrat, stellte sie ihm eine vereinbarte Frage, und als er die erwartete Antwort gab, versprach sie, am nächsten Morgen wiederzukommen. Auf die Lokalisierung der dritten und letzten Adresse, eines Briefkastens im Zentrum der Stadt, verzichtete sie erschöpft.
     
    Am Abend, nach einem schmerzlichen Besuch bei Azmis Eltern, die nach Ramallah gezogen waren, kehrte sie nach Hause zurück. Ihre Mutter schlug vor, eine kleine Einladung für sie zu geben. Ihr Vater verschränkte die Finger ineinander und schwieg. Sie musterte sein Gesicht und das ihrer Mutter, vieles hatte sich verändert, seit sie nach Frankreich gegangen war, sie musste die Beziehung zu ihnen wieder aufbauen, die Grenzen von Gespräch und Einmischung in ihr Leben

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