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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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festlegen.
    »Fürchtest du, dass deine Freunde nicht kommen?«, fragte ihre Mutter.
    »Ich weiß nicht. Es ist keine Zeit für Feste«, erwiderte ihr Vater.
    Sie verstand, dass zwischen ihm und seinen Freunden etwas vorgefallen war, doch sie bat nicht um Erklärungen, wenn er es
wollte, würde er es ihr schon erzählen. Trotz der späten Stunde beschloss sie, Nahad, ihre Freundin seit ihrer Flucht nach Ostjerusalem, anzurufen, und diese brach in Freudenrufe aus: »Du bist seit gestern hier? Ich muss dich sehen.«
    »Vielleicht treffen wir uns morgen im Café im Ambassador.«
    »Geht nicht. Die israelische Armee hat das Hotel zu ihrem Hauptquartier gemacht.«
    Das Blut stieg Jasmin zu Kopf, aber sie äußerte sich nicht dazu.
    »Gut, dann treffen wir uns im al-Hurrije.«
    Es war nett, Nahad wiederzusehen. Sie hatte sie immer sehr gern gehabt. Ein Kopf, der nicht in den Höhen der Politik umherschwirrte (so war sie auch vorher gewesen), ein warmes, überfließendes Herz, bodenständig, fröhlich. Wollte Gott, ich hätte etwas von dieser Schlichtheit und Lebensfreude, dachte Jasmin, als sie die Bilder von Nahads drei kleinen Kindern betrachtete.
    »Kleine Engel, und ihr Geplapper - Musik«, schwärmte Nahad und verbreitete sich über jedes einzelne. Jasmin hörte nicht mehr zu, bewahrte mühsam ihr Lächeln, während sich ihre Augen mit einem dünnen Film überzogen. Sie wollte nicht in die Traurigkeit der Vergangenheit verfallen, doch ein Gedanke ließ sie nicht los: Hätte sie in der Trauerzeit ihr Baby nicht verloren, so hätte sie heute ein fünfjähriges Kind.
    Nahad brachte sie, wie zu erwarten, in Sachen Klatsch und Tratsch auf den neuesten Stand - wer wen geheiratet und wer einen Jungen oder ein Mädchen bekommen hatte, wer ein Haus gebaut hatte und wer eine alte Jungfer geblieben war. Jasmin spürte, dass die Zeit die Kluft zwischen ihnen vergrößert hatte, und sie fragte sich, welche Mutter und Frau sie heute wohl wäre, wenn sie Kinder hätte und Azmi noch lebte.
    Nachdem Nahad zu ihren Kindern geeilt war, studierte Jasmin das Telefonbuch des Westteils der Stadt. Sie blätterte sorgfältig die Seiten durch, doch der Name Edna Mazursky tauchte darin nicht auf.

12.
    DIE ERSTE BEGEGNUNG
    Abu George rief mich an und bat dringend um ein Treffen. Er kam zu mir ins Büro, doch nach den Begrüßungs- und Höflichkeitsfloskeln, die ziemlich kurz ausfielen, schnitt er die Angelegenheit, wegen der er wohl gekommen war, noch nicht an. Ich kannte ihn schon gut genug, um zu wissen, dass es ihm schwerfiel, um etwas zu bitten, und dass er bisher nichts für sich selbst erbeten hatte.
    »Tafaddal! … Talab! … Chidma! …«, drängte ich ihn, was so viel besagt wie »Haben Sie vielleicht eine Bitte, kann ich etwas für Sie tun?« Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her, bis er schließlich in einem nüchternen Ton, der die Vertraulichkeit verleugnete, die zwischen uns entstanden war, sagte: »Ich brauche einen Rat.«
    »Der große Mann bittet um Geringes«, antwortete ich ihm mit einer bekannten Redensart.
    »Meine Tochter Jasmin ist zurückgekommen. Sie studiert Sonderpädagogik, macht ihren Doktor, und es fehlt ihr ein letztes Praktikum. Ich fürchte, dass sie keine geeignete Einrichtung bei uns finden wird, sie hat auch nicht vor, dazubleiben, aber …« Er zog ein silbernes Zigarettenetui aus seiner Tasche, zündete sich eine Zigarette an, nahm geräuschvoll einen Zug, drückte sie wieder aus und rang sich ein Lächeln ab. »Ja’ani, das heißt, ich wollte nur prinzipiell klären, ob bei Ihnen eine solche Institution existiert«, beeilte er sich, seine Bitte zu konkretisieren, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich schenkte ihm ein Glas Wasser ein, er dankte mir mit einem Nicken, rührte es jedoch nicht an.

    »Wir beide, meine Frau ich, möchten so gerne, dass sie bleibt, sie ist unser Leben … vielleicht könnten Sie …« Er verstummte und senkte den Blick.
    »Ich werde alles tun, was mir möglich ist«, erwiderte ich und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Ich brachte ihn zur Tür, und er verließ mit hastigen Schritten das Büro.
    Ich rief Levana an, die die staatlichen Ministerien in- und auswendig kannte, und sie riet mir, mich an das Fürsorgeamt zu wenden und fand auch im Jahresbericht der Regierung den Namen des Leiters der betreffenden Abteilung.
    Ich wandte mich direkt an den Verwaltungsdirektor, und er verwies mich an die Leitung des Jugenddorfs für Sondererziehung in

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