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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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extrem.«
    Ich wollte sie schon um weitere Einzelheiten bitten, doch da kniff mich Charles heftig in den Arm. Leise aufstöhnend, wandte ich mich zu ihm. Er stand direkt neben mir. »Was hat eine Wand zur anderen gesagt?«, war seine nicht unvertraute Frage.
    »Das hast du ihn schon mal gefragt«, sagte Esmé. »Hör jetzt auf damit.«
    Charles ignorierte seine Schwester, stellte sich auf einen meiner Füße und wiederholte die Schlüsselfrage. Mir fiel auf, dass sein Krawattenknoten nicht ordentlich saß. Ich rückte ihn zurecht, blickte Charles dann geradewegs in die Augen und meinte: »Wir treffen uns an der Ecke?«
    Kaum hatte ich es gesagt, wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Charles sperrte den Mund auf. Mir war, als hätte ich ihn aufgebrochen. Er ging von meinem Fuß herunter und schritt mit weißglühender Würde zu seinem Tisch, ohne sich umzublicken.
    »Er ist wütend«, sagte Esmé. »Er hat ein heftiges Naturell. Meine Mutter hatte die Neigung, ihn zu verwöhnen. Mein Vater war der Einzige, der ihn nicht verwöhnt hat.«
    Ich schaute weiter auf Charles, der sich inzwischen hingesetzt hatte und seinen Tee trank; er hielt die Tasse mit beiden Händen. Ich hoffte, er würde sich umdrehen, doch er tat es nicht.
    Esmé stand auf. » Il faut que je parte aussi «, sagte sie und seufzte. »Können Sie Französisch?«
    Auch ich erhob mich, empfand eine Mischung aus Bedauern und Verwirrung. Esmé und ich gaben uns die Hand; ihre Hand war, wie ich vermutet hatte, nervös, auf der Innenseite feucht. Ich sagte ihr auf Englisch, wie sehr ich ihre Gesellschaft genossen hätte.
    Sie nickte. »Das habe ich mir gedacht«, sagte sie. »Für mein Alter bin ich recht kommunikativ .«
    W ieder fasste sie sich versuchsweise an die Haare. »Es tut mir schrecklich leid wegen meiner Haare«, sagte sie. »Wahrscheinlich war ich ein ganz scheußlicher Anblick.«
    »Keineswegs! Ich finde sogar, dass viele Wellen schon fast wieder da sind.«
    Rasch fasste sie sich noch einmal an die Haare. »Glauben Sie, Sie kommen in der unmittelbaren Zukunft noch e inmal hierher?«, fragte sie. »Wir sind jeden Samstag nach der Chorprobe hier.«
    Ich antwortete, ich täte nichts lieber als das, aber leider sei ich mir ziemlich sicher, dass ich es nicht noch einmal schaffen würde.
    »Mit anderen Worten, Sie können nicht über Truppenbewegungen sprechen«, sagte Esmé. Sie machte keine Anstalten, sich vom Tisch zu entfernen. Vielmehr stellte sie einen Fuß kreuzweise über den anderen, blickte hinab und richtete die Zehen ihrer Schuhe aneinander aus. Das war eine nette kleine Ausführung, denn sie trug weiße Söckchen, und ihre Knöchel und Füße waren hübsch. Abrupt sah sie zu mir hoch. »Hätten Sie es gern, wenn ich Ihnen schriebe?«, fragte sie mit ziemlich viel Farbe im Gesicht. »Ich schreibe extrem klare Briefe für jemand meines – «
    »Das fände ich sehr schön .«
    I ch zog Stift und Papier hervor und schrieb meinen Namen, Dienstgrad, Dienstnummer und Feldpostnummer auf.
    »Ich werde Ihnen zuerst schreiben«, sagte sie, als sie das Papier nahm, »damit Sie sich in keiner Weise kompromit tiert fühlen .«
    S ie steckte die Adresse in die Tasche ihres Kleids. »Auf Wiedersehen«, sagte sie und ging zu ihrem Tisch.
    Ich bestellte ein weiteres Kännchen Tee und betrachtete die beiden, bis sie und die schikanierte Miss Megley aufstanden, um zu gehen. Charles ging voraus, tragisch humpelnd wie einer, dessen eines Bein etliche Zentimeter kürzer ist als das andere. Er sah nicht zu mir herüber. Dann folgte Miss Megley, dann Esmé, die mir zuwinkte. Ich winkte, halb von meinem Stuhl aufstehend, zurück. Es war ein merkwürdig gefühlvoller Augenblick für mich.
    Keine Minute später kam Esmé in die Teestube zurück, sie zerrte Charles am Ärmel seiner Matrosenjacke hinter sich her. »Charles möchte Ihnen gern einen Abschiedskuss geben«, sagte sie.
    Sogleich stellte ich meine Tasse ab und sagte, das sei aber sehr nett, ob sie sich aber auch sicher sei.
    »Ja«, sagte sie, eine Spur grimmig. Sie ließ Charles’ Ärmel los und gab ihm einen ziemlich energischen Schubs in meine Richtung. Er kam mit einem wütenden Gesicht heran und drückte mir einen lauten, feuchten Schmatz unmittelbar unters rechte Ohr. Nach dieser Tortur wandte er sich schnurstracks zur Tür und einer weniger sentimentalen Lebensform zu, doch ich packte ihn an dem Halbgürtel auf dem Rücken seiner Matrosenjacke, hielt ihn fest und fragte ihn: »Was hat eine Wand

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