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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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zur anderen gesagt?«
    Sein Gesicht erstrahlte. »Wir treffen uns an der Ecke!«, kreischte er und raste aus dem Raum, wahrscheinlich völlig aus dem Häuschen.
    Esmé stand wieder mit verschränkten Füßen da. »Und Sie vergessen ganz bestimmt nicht, diese Geschichte für mich zu schreiben?«, fragte sie. »Sie muss ja nicht aus – schließ lich für mich sein. Sie kann – «
    Ich sagte, es sei vollkommen ausgeschlossen, dass ich das vergäße. Ich sagte, ich hätte noch nie eine Geschichte für jemanden geschrieben, aber jetzt schiene mir genau die richtige Zeit dafür zu sein.
    Sie nickte. »Machen Sie sie extrem elend und bewegend«, meinte sie. »Sind Sie überhaupt mit Elend vertraut?«
    Ich sagte, nicht so richtig, dass ich aber von Mal zu Mal, in der einen oder anderen Form, immer besser damit vertraut sein und mein Bestes geben würde, ihren Angaben zu genügen. Wir reichten uns die Hand.
    »Ist es nicht schade, dass wir uns nicht unter weniger mildernden Umständen begegnet sind?«
    Ich sagte, durchaus, ich sagte, auf jeden Fall.
    »Auf Wiedersehen«, sagte Esmé. »Ich hoffe, Sie kehren im Vollbesitz aller Ihrer Kräfte aus dem Krieg heim.«
    Ich dankte ihr und sagte noch einige weitere Worte, dann sah ich ihr nach, wie sie die Teestube verließ. Sie verließ sie langsam, nachdenklich, prüfte tastend, wie trocken ihre Haarspitzen waren.
     
    Dies ist nun der elende oder bewegende Teil der Geschichte, und der Schauplatz ändert sich. Auch die Leute ändern sich. Mich gibt es noch, doch von nun an habe ich mich aus Gründen, die zu enthüllen ich nicht befugt bin, so geschickt verkleidet, dass selbst der schlauste Leser mich nicht erkennen wird.
    Es war nachts gegen halb elf in Gaufurt, Bayern, mehrere Wochen nach dem Sieg in Europa. Staff Sergeant X war in seinem Zimmer im ersten Stock des Privathauses, in das er und neun weitere Amerikaner schon vor dem Waffenstillstand einquartiert worden waren. Er saß auf einem hölzernen Klappstuhl an einem kleinen, unaufgeräumten Schreibtisch, vor sich aufgeschlagen ein Taschenbuch, einen Roman aus Übersee ; die Lektüre bereitete ihm große Schwierigkeiten. Die Schwierigkeiten lagen an ihm, nicht am Roman. Obwohl die Männer, die im Erdgeschoss wohnten, den ersten Zugriff auf die Bücher hatten, die jeden Monat von der Truppenbetreuung geschickt wurden, blieb für X in der Regel das Buch übrig, das er sich wohl ohnehin ausgesucht hätte. Doch er war ein junger Mann, der den Krieg nicht im Vollbesitz aller seiner Kräfte überstanden hatte, und über eine Stunde lang hatte er die Absätze dreimal gelesen, und nun machte er es so m it den Sätzen. Plötzlich schloss er das Buch, ohne die Seite zu kennzeichnen. Einen Augenblick lang schützte er die Augen mit der Hand vor dem grellen, starken Schein der nackten Birne überm Tisch.
    Er zog eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch und entzündete sie mit Fingern, die unablässig sanft aneinanderstießen. Er lehnte sich ein wenig auf seinem Stuhl zurück und rauchte ohne jegliches Gefühl für den Geschmack. Er hatte wochenlang Kette geraucht. Sein Zahnfleisch blutete beim leisesten Druck der Zungenspitze, und nur selten ließ er dieses Experiment sein; es war ein kleines Spiel, manchmal spielte er es stündlich. Einen Augenblick saß er da und rauchte und experimentierte. Dann, abrupt, vertraut und wie gewöhnlich unerwartet, glaubte er, sein Geist löse sich und schaukle wie unsicheres Gepäck in einem Gepäcknetz. Schnell tat der junge Mann, was er seit Wochen tat, um die Dinge in den Griff zu bekommen: Er presste die Hände fest gegen die Schläfen. So verharrte er einige Augenblicke. Seine Haare mussten wieder geschnitten werden, und sie waren schmutzig. Während der zwei Wochen im Krankenhaus in Frankfurt am Main hatte er sie drei - , viermal gewaschen, aber nach der langen, staubigen Jeepfahrt zurück nach Gaufurt waren sie wieder schmutzig geworden. Corporal Z, der ihn im Krankenhaus abgeholt hatte, fuhr den Jeep noch immer im Gefechtsstil, die Windschutzscheibe auf die Motorhaube geklappt, Waffenstillstand hin oder her. In Deutschland waren Tausende neuer Einheiten. Durch das Fahren mit heruntergeklappter Windschutzscheibe im Gefechtsstil hoffte Corporal Z zu zeigen, dass er keiner von denen war, dass er keineswegs so ein neuer Scheißer bei den europäischen Truppen war.
    Als er seinen Kopf losließ, starrte X auf den Schreib t isch, der ein Auffanglager für wenigstens zwei Dutzend ungeöffneter

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