J.D.SALINGER Neun Erzählungen
nicht vom Bett. »Hey. Gerade hab ich’s dem neuen Scheißkerl da unten, Bernstein, erzählt. Weißt du noch, wie ich und du nach Valognes reingefahren sind und sie uns zwei verdammte Stunden lang beschossen haben, und diese verdammte Katze, die ich abgeknallt hab, die auf die Motorhaube vom Jeep gesprungen ist, als wir in dem Loch gelegen haben? Weißt du noch?«
»Ja – fang nicht wieder mit dieser Katze an, Clay, verdammt. Ich will nichts davon hören.«
»Nein, ich wollt doch bloß sagen, dass ich Loretta davon geschrieben hab. Sie und das ganze Psychologie - Seminar haben das diskutiert. Im Seminar und so. Der verdammte Professor und alle.«
»Wie schön. Ich will nichts davon hören, Clay.«
»Nein, weißt du, warum ich die einfach so abgeknallt hab, wie Loretta sagt? Sie sagt, ich war vorübergehend wahnsinnig. Ganz ehrlich. Durch den Beschuss und so.«
X fuhr sich einmal mit den Fingern durch die schmutzigen Haare und schützte dann wieder die Augen vor dem Licht. »Du warst nicht wahnsinnig. Du hast einfach deine Pflicht getan. Du hast die Mieze so mannhaft getötet, wie jeder es unter diesen Umständen getan hätte.«
Clay sah ihn argwöhnisch an. »Was redest du denn da?«
»Diese Katze war ein Spion. Du musstest sie abknallen. Sie war ein sehr schlauer deutscher Zwerg, der sich mit einem billigen Pelzmantel verkleidet hatte. Es hatte also überhaupt nichts Brutales oder Grausames oder Schmutziges oder sogar – «
»Verdammt noch mal!«, sagte Clay, und seine Lippen wurden schmal. »Kannst du denn nie mal ehrlich sein?«
X wurde plötzlich übel, er schwang auf seinem Stuhl herum und griff nach dem Papierkorb – gerade noch rechtzeitig.
Als er sich wieder aufgerichtet und seinem Gast zugewandt hatte, stand der verlegen auf halber Strecke zwischen Bett und Tür. X wollte sich schon entschuldigen, überlegte es sich dann aber anders und langte nach seinen Zigaretten.
»Komm mit runter und hör dir im Radio Hope an, hey«, sagte Clay zurückhaltend, versuchte aber auch, noch freundlich zu sein. »Das wird dir guttun. Wirklich.«
»Geh du nur, Clay. … Ich seh mir meine Briefmarkensammlung an.«
»Ach ja? Du hast ’ne Briefmarkensammlung? Ich wusste ja gar nicht, dass du – «
»War bloß Spaß.«
Clay ging zwei langsame Schritte zur Tür. »Vielleicht fahr ich später nach Ehstadt«, sagte er. »Da ist Tanz. Dauert womöglich bis zwei oder so. Kommst du mit?«
»Nein danke. … Vielleicht üb ich ein paar Schritte im Zimmer.«
»Okay. Nacht! Und mach’s gut, Herrgott .«
D ie Tür knallte zu und ging sofort wieder auf. »Hey. Okay, wenn ich dir einen Brief an Loretta unter der Tür durchschieb? Ich hab paar deutsche Sachen drin. Bringst du mir die in Ordnung?«
»Ja. Lass mich jetzt in Ruhe, verdammt noch mal.«
»Klar«, sagte Clay. »Weißt du, was meine Mutter mir geschrieben hat? Sie hat geschrieben, sie ist froh, dass du und ich den ganzen Krieg über und so zusammen waren. Im selben Jeep und so. Sie sagt, seit wir zusammen sind, sind meine Briefe ein ganzes Stück intelligenter.«
X blickte auf und zu ihm hin und sagte unter großen Mühen: »Danke. Dank ihr von mir.«
»Mach ich. Nacht! «
D ie Tür knallte zu, diesmal endgültig.
X saß lange da und schaute auf die Tür, dann drehte er den Stuhl zum Schreibtisch und hob seine Reiseschreibmaschine vom Fußboden auf. Er machte dafür Platz auf dem unordentlichen Tisch, schob den zusammengefallenen Stapel ungeöffneter Briefe und Päckchen beiseite. Er dachte, wenn er einen Brief an einen alten Freund in New York schriebe, könnte eine schnelle, wenn auch nur schwache Therapie für ihn drin sein. Doch er schaffte es nicht, sein Briefpapier richtig einzuziehen, so heftig zitterten jetzt seine Finger. Er legte die Hände eine Weile seitlich neben sich und versuchte es dann erneut, zerknüllte das Papier dann aber schließlich.
Ihm war bewusst, dass er den Papierkorb aus dem Zimmer bringen sollte, doch statt dies auch nur zu versuchen, legte er wieder die Arme auf die Schreibmaschine und den Kopf darauf und schloss die Augen.
Einige pochende Minuten später merkte er, als er die Augen aufschlug, dass er auf ein kleines, ungeöffnetes, in grünes Papier eingeschlagenes Päckchen schaute. Wahrscheinlich war es von dem Stapel gerutscht, als er Platz für die Schreibmaschine schaffte. Er sah, dass es mehrmals umadressiert worden war. Allein auf einer Seite des Päck c hens erkannte er mindestens drei seiner alten
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