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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Gerade noch hatte sie in der Stadt mit amerikanischen Sammlern bei einem Abendessen in der Galerie zusammengesessen. Von hier aus schien das unendlich weit weg zu sein, aber von hier aus schien alles unendlich weit weg zu sein.
    In einem der vielen Zimmer im ersten Stock hatte Clara einst das Licht der Welt erblickt. Und nichts hatte sich seither verändert. Kein Raum war umgebaut, kein Möbelstück hinzugefügt worden. Sie lebte hier wie im Museum ihrer Kindheit, dabei war sie inzwischen fast hundert. Mimis Kindheit dagegen war von einem Tag auf den anderen zu Ende gegangen, als ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren.
    Durch die Salontür hörte Mimi die zittrige Stimme des alten Doktor Medler, den die beinahe ebenso alte Haushälterin Margarete aus dem benachbarten Ort gerufen hatte. In letzter Zeit spielte Claras Herz verrückt. Als hätte es keine Lust mehr, auch nur einen einzigen weiteren Schlag zu tun. Doch dann entschied es sich um und schlug weiter, als wäre nichts geschehen. Diese nächtlichen Alarmrufe gingen Mimi langsam an die Substanz. Auch wenn ihre Großmutter längst ein Alter erreicht hatte, in dem man gehen durfte, fürchtete Mimi sich vor diesem Tag. Clara war nicht nur die letzte Überlebende ihrer Familie, sie war ihre Familie überhaupt. Sie hatte Mimi großgezogen und in den Kunsthandel eingearbeitet, den sie einst von ihren Eltern übernommen hatte und den Mimi wiederum nach dem Tod ihrer Eltern übernehmen musste. Damals hatte Mimi die Erfahrung gemacht, dass der Schmerz nachließ, wenn sie sich mit Arbeit betäubte. Womöglich hatte sie deshalb das Gefühl, nie nachlassen zu dürfen. Aber wenn Clara starb, was sollte sie dann tun? Noch mehr arbeiten?
    Mimi band sich das blonde lange Haar zum Pferdeschwanz und zog ihre Strickjacke vorne enger zusammen. Von den sommerlich heißen Temperaturen, die sogar um diese nächtliche Uhrzeit noch herrschten, war hier drinnen wenig zu spüren. Damit sich ihr Mann keine Sorgen machte, wo sie so lange blieb, versuchte sie ihn zum wiederholten Mal zu erreichen. Seltsamerweise war sein Handy ausgeschaltet. Zu Hause war René auch nicht. Irgendwann würde er sich schon melden und fragen, wo seine Frau blieb. Oder war er schon eingeschlafen? Für ihn war es schließlich nichts Ungewöhnliches, dass sie spät nach Hause kam. Als Kunsthändlerin ging sie abends meist mit ihren Kunden essen, aber als die Haushälterin Margarete heute Abend angerufen hatte, musste sie die Wrights mit ihrer Assistentin Alice zurücklassen, um aus der Stadt so schnell wie möglich hierherzukommen.
    Draußen wiegten sich die Erlen in der nächtlichen Brise. Die Jelängerjelieber rankten sich mit ihren gelben Trompetenblüten um die Fenster. Margarete war längst wieder durch den Wintergarten und den Obstgarten in ihr separates Gesindehaus geflohen. Die Frau, die schon eine halbe Ewigkeit allein mit Clara dieses riesige Haus bewohnte, schien sich beinahe noch mehr als Mimi vor Doktor Medlers Diagnose zu fürchten.
    Um die Wartezeit erträglicher zu gestalten, zog Mimi sich ihre hohen Riemchensandaletten aus und gab einen erleichterten Seufzer von sich, als ihre nackten Füße den kühlen Dielenboden berührten. Ihr schwarzes Cocktailkleid mit den eingewebten Silberfäden fing langsam an, auf der Haut zu kratzen. Wie lange dauerte das denn noch? Sie trat näher an die Salontür heran. Dahinter hörte sie wieder Doktor Medlers Stimme. »Ich bitte Sie, Clara. Wenn Ihr Herz das nächste Mal verrücktspielt, sorgen Sie dafür, dass es nicht später als achtzehn Uhr ist. Ein alter Mann wie ich braucht seinen Schlaf.«
    Dann ging endlich die breite Flügeltür auf, und der Arzt, ein rüstiger, kleiner Herr um die achtzig, kam herausgeschlurft, seinen Stock wie einen Fühler vor sich her schiebend. Unter seinem Sommermantel trug er einen gestreiften Pyjama, und seine Füße steckten in Filzpantoffeln. Mimi konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Scheinbar hatte er es nicht für nötig gehalten, sich für diesen Notfall umzuziehen.
    »Wie kann man nur so störrisch sein?«, murmelte der Arzt kopfschüttelnd, wobei er sich mit einem großen Stofftaschentuch die Nase schnäuzte. »Bringen Sie Ihre Großmutter dazu, sich endlich von einem Spezialisten untersuchen zulassen, anstatt mich alten Mann nachts aus dem Bett zu holen!«
    Mimi lächelte. Hinter Doktor Medlers Schulter sah sie ihre Großmutter in der Mitte des Salons auf dem Pflegebett liegen, das sie ihr vor

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