Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Beerdigung, und vor genau zehn Tagen war sie um diese Zeit in Jonas’ Zimmer. – Ihr kommt das alles viel länger vor.
Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne. Sie öffnet die Augen, beobachtet, wie sich ein Mädchen und ein Junge an den Händen halten und gemeinsam ins Wasser springen. Nur das Mädchen taucht wieder auf. Sie paddelt herum, sucht ihn. Er erreicht gerade auf der anderen Seite den Beckenrand, prustet Wasser aus, lacht, freut sich, weil sie ihn immer noch nicht entdeckt hat. Er krault zurück, taucht unter und vor ihr wieder auf. Sie kreischt, spritzt ihm Wasser ins Gesicht.
Könnte Jonas doch auch einfach wieder auftauchen!
Die Birkenblätter flirren über ihr. Auf der Tribüne, etwas weiter oben, sitzt jemand mit dem Rücken zu ihr. Er dreht sich genau in dem Moment um, wo sie guckt. – Kolja. – Was für ein Zufall. Er lächelt. – Hallo! Charlotte hat ihn auch gerade entdeckt und sagt: »Auf den Küsser habe ich jetzt überhaupt keinen Bock.«
»Er ist kein Küsser«, sagt Julia. »Er ist Jonas’ bester Freund.« Kolja hatte ihr gleich nach der Beerdigung noch ein paar Songs von Peter Fox rübergestreamt mit der Nachricht, dass sie ihn jederzeit anrufen könne. Julia hatte ihn auch angerufen, aber sofort wieder aufgelegt, weil sie plötzlich nichts sagen konnte. Er hatte sie sofort zurückgerufen. Sie hatte sich dann für die Musik bedankt, obwohl sie sie noch nicht anhören konnte.
»Soll ich vorbeikommen?«, hatte er gefragt – seine Stimme so weich wie eine Aprikose. »Ich habe ein Auto, könnte dich abholen, irgendwohin fahren.«
»Danke«, hatte sie gesagt. »Nicht jetzt. Vielleicht in ein paar Tagen.«
Und nun treffen sie sich im Prinzenbad. Wirklich, was für ein Zufall!
Charlottes Stirn ist voller Falten. Man sieht ihr an, wie erfreut sie ist, Kolja wiederzusehen. Sie soll sich nicht so anstellen. Nur weil es mit ihr und ihm nicht weiterging. Bei Charlotte ist noch nie etwas weitergegangen. Sie bezweifelt sogar, dass es wahre Liebe überhaupt gibt. Bis jetzt war sie noch nie richtig verliebt. Arme Charly – sie weiß ja gar nicht, was ihr entgeht!
Kolja ist bestimmt aus demselben Grund hier auf der Tribüne wie sie: um Jonas näher zu sein. Denn das hier war auch Jonas’ Platz.
Julia winkt ihm zu. Er kommt mit seinem Handtuch und einer Plastiktüte rüber. Er hat eine schwarze Jeans an, ein schwarzes T-Shirt, ist barfuß.
»Wolltest du gerade gehen?«, fragt Charlotte.
»Ach, bleib doch noch ein bisschen«, sagt Julia.
»Wollt ihr nicht lieber allein sein?«, fragt Kolja.
»Gott, wie feinfühlig, der Herr.« Charlotte verdreht die Augen.
Julia guckt Charly böse an. Was soll die spitze Bemerkung?
Kolja geht gar nicht darauf ein. Lappalien. Das richtige Leben tickt anders. Da geht man nicht auf Nichtigkeiten ein. Das wissen Julia und er. Sie haben beide Jonas verloren, und nun sitzen sie da, zu dritt und schwitzen.
»Wollen wir Karten spielen?«, fragt Kolja. »17 und 4?«
»Au ja!«, ruft Julia. Charly zieht einen Mundwinkel nach unten und zuckt mit den Schultern. »Wenn du gern möchtest, klar!«
Kartenspielen ist genau das Richtige, da muss man nicht reden und kommt nicht ins Grübeln und die Zeit vergeht dabei. Zeit heilt die Wunden.
Kolja mischt. Er hat schlanke Hände. Er gibt Julia zwei Karten, Charlotte und sich selber auch.
»Wir spielen um eine Runde Eis«, sagt Kolja.
»Ach nö!«, sagt Charly.
»Fünf Durchgänge«, schlägt Julia vor. »Wir können die einzelnen Runden mit Papierschnipseln bezahlen.«
»Lieber mit Streichhölzern«, sagt Kolja und kramt eine Streichholzschachtel aus der Tüte.
»Du rauchst?«, fragt Julia.
»Manchmal«, sagt Kolja.
Wie Jonas. Wie sie. Jetzt würde sie gern eine rauchen. »Hier kann man nicht rauchen«, sagt Charly. »Zum Glück.« Charly hasst Raucher.
Julia hebt eine Karte auf. Pik Ass. Dann die zweite. Herz Ass.
»Feuer«, sagt Julia und legt ihre Karten hin. Charlotte hat einen König und eine Sieben. Kolja eine Zehn und eine Acht. Charly muss ein Streichholz bezahlen. In den nächsten Runden gewinnt Julia mit einem Ass, einer Dame und einer Sieben, danach gleich wieder mit zwei Assen. Sie gewinnt auch die letzten beiden Runden. Glück im Spiel … geht es ihr durch den Kopf. … Pech in der Liebe.
Charlotte hat verloren und muss eine Runde Eis ausgeben. Kolja will ihre Schuld übernehmen.
»Schleim dich hier jetzt nicht ein«, sagt Charlotte und zieht ihr T-Shirt über. »Ich habe verloren, also
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