Je mehr ich dir gebe (German Edition)
du?«
Julia schaut Mama durch einen Wasserschleier an.
»Ist alles in Ordnung?«
»Ja.«
»War es schön im Schwimmbad?«
»Lass mich doch jetzt mal, ich dusche!«
Mama geht. Jonas ist auch weg. Julia friert bis auf die Knochen. Ihre Zähne klappern. Das wird auch nicht besser, als sie sich abtrocknet. Sie rennt in ihr Zimmer, reißt den Kleiderschrank auf, Jonas’ Schuh fällt heraus, sein T-Shirt – das grüne mit den Spatzen. Julia nimmt ihren dicksten Winterpulli heraus, zieht ihn an, auch dicke Socken, hebt sein T-Shirt auf, den Schuh –, sie kriegt kaum Luft, versucht, in den Bauch zu atmen, bis ihr Herz sich endlich beruhigt. Sie pfeffert den Schuh zurück, schließt die Tür ab und stemmt sich mit dem Rücken dagegen. Dann steht sie einfach nur da, mit tropfenden Haaren und der kratzigen Wolle auf der Haut.
Ihr Handy klingelt. Und klingelt.
Nimmst du nicht ab?, fragt die Möwe.
Keine Nummer auf dem Display.
»Hallo?«
»Julia?«
Jonas ruft an, er sagt, es sei alles nur eine Szene gewesen, eine Stunt-Übung mit dem Motorrad, wo sie denn bleibe? Er warte auf sie, in seinem Zimmer, er habe den Film dabei, warum sei sie denn schon gegangen? Habe sie etwa Angst vor Gewitter? Er lacht. Sein Lachen dröhnt in ihren Ohren.
»Julia?«
Sie atmet schwer.
»Julia? Hallo? Hier ist Kolja. Was machst du gerade?«
»Ich?«
»Ja, du.«
»Nichts.« Sie geht ein paar Schritte. Hin und her, immer von einer Wand zur anderen, klack klack klack – und umdrehen …
»… also, wenn du Lust hast«, hört sie den Rest von Koljas Satz.
»Wozu?«
»Na ja, eben mitzukommen. Wir sind ein paar Leute. Wird bestimmt nett. Ich würde dich dann abholen.«
Julia beißt sich auf die Lippen. Sie hat den ersten Teil der Info nicht mitgekriegt.
»Sind auch alles gute Kumpels von Jonas«, fährt Kolja fort. »Die kennst du nur noch nicht. Kein Wunder, ihr wart ja immer nur zu zweit.«
»Okay«, sagt Julia. Ihr Herz rast schon wieder, kaum spricht Kolja seinen Namen aus – und die Vision, mit Jonas zu zweit zu sein. Kolja fragt, wann er sie abholen soll.
»In einer Stunde«, sagt sie und geht wieder zum Schrank. Öffnet ihn und nimmt Jonas’ Lederjacke heraus, wirft sie sich über die Schultern, zieht die Ärmel über der Brust zusammen. Halt mich fest! Sie riecht seinen Rasierschaum – als wäre er gerade durchs Zimmer gelaufen. Sie schnuppert ihm nach, lehnt sich an ihn an, ja, so ist es gut . Jonas hält sie.
Um Punkt 19 Uhr klingelt es. Mama macht auf. »Julia!«, ruft sie durch die Wohnung. »Für dich!«
Julia liegt auf dem Bett allein in ihrem Schweiß, setzt sich auf, stopft die Lederjacke unters Bett, zieht den Winterpulli aus, die kratzigen Socken. »Julia?«
Sie muss sich erst einmal orientieren. Kaum weiß sie, wo sie ist, drückt eine Last auf sie nieder, als würde sie mit Beton übergossen. Ihr ist schwindelig. Sie stützt sich am Schreibtisch ab, wartet kurz, bis es besser wird, dann geht sie zur Tür. »Ich komme gleich!«, ruft sie, huscht ins Bad und schüttet sich kaltes Wasser ins Gesicht.
Kolja sitzt mit Mama in der Küche.
»Wir haben uns schon bekannt gemacht«, sagt Mama. An ihrem zögernden Lächeln sieht Julia, dass ihre Mutter neugierig ist, nicht so recht weiß, was sie von ihm denken soll. Von Kolja hat sie noch nichts gehört. Aber sie scheint ihn zu mögen. Ein junger Mann mit Manieren hat bei ihr immer einen Stein im Brett. Kolja steht auf, als er Julia sieht.
»Bist du fertig?«
»Wo geht ihr denn hin?«, fragt Mama.
»Zu ein paar Kumpels von mir«, sagt Kolja. »Wir grillen.«
Jetzt fällt es auch Julia ein, dass sie grillen wollten. Sie hatten es doch am Telefon besprochen. War das gestern oder heute? Irgendwie ist ihr die Zeit verrutscht.
»Das ist ja eine gute Idee, bei dem schönen Wetter. Wo fahrt ihr denn hin?« Mama ist sichtlich froh, dass Julia wieder unter Leute geht.
»Tempelhofer Feld«, sagt Kolja.
»Wollt ihr noch was mitnehmen? Ein paar Soßen oder Gemüse? Ich habe auch noch Schafskäse in Alufolie, den magst du doch so gern.«
Julia zögert.
»Danke«, sagt Kolja, »aber wir haben alles.«
»Viel Spaß!«, ruft Mama hinterher.
Sie steigt in ein Auto. Es ist Koljas Auto, ein schwarzer Mitsubishi . Auf dem Boden Bonbonpapier. Sie fragt ihn nach einer Zigarette. Er reicht ihr eine Schachtel. Sie zieht eine heraus, nimmt das Feuerzeug. Raucht, schaut aus dem Fenster. Die Landschaft zieht vorbei, die Zeit vergeht, sie wird mit jeder Sekunde älter.
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