Je mehr ich dir gebe (German Edition)
am Ball, rettet aus der Ecke, wirft sich bäuchlings in den Sand; die Arme brennen, zwischen den Zähnen knirscht Sand, und als sie aufhören, steht sie da, die Hände in die Hüften gestemmt, leicht vornübergebeugt, und keucht. Ihre Unterarme sind knallrot, die Hände heiß. Von ihr aus könnten sie ruhig noch ein Spiel machen, aber die anderen haben genug.
Es wird auch langsam dunkel. Heino macht Feuer. Die Jungs übernehmen das Grillen, die Mädchen sitzen auf der Decke und trinken Rotkäppchen -Sekt. Sie reden von der Schule, vom Sport, von den Sommerferien. Warum guckt Anne sie andauernd so an, als wollte sie was von ihr wissen? Sie hat auch Kolja im Auge, den aber eher abschätzend. Keiner erwähnt Jonas. Das ist auch gut so. Julia will nicht über Jonas reden, es reicht schon, wenn sie bei jedem Atemzug an ihn denkt.
Liv und Heino sind ein Pärchen. Sie wollen in den Sommerferien nach Andalusien fahren.
Julia wird die Sommerferien wohl verschlafen. Charly hat sie gestern gefragt, ob sie mit ihr nach Frankreich käme. Eigentlich hatte sie Charly versprochen, mitzukommen. Sie könnten bei Freunden von Charlys Eltern wohnen. Julia hatte sich schon total darauf gefreut, aber dann hatte sie Jonas getroffen. Da konnte sie nicht mehr nach Paris fahren. Niemals hätte sie ertragen, tagelang über 1800 Kilometer von ihm getrennt zu sein. Jeder Kilometer hätte geschmerzt. Charly war ganz schön sauer gewesen, dass Julia alles Hals über Kopf abgeblasen hatte, nur wegen einem Typen, den sie noch nicht mal lange kannte.
»Das verstehst du nicht«, hatte Julia gesagt. »Mich hat es voll erwischt, ehrlich. Schließlich bin ich ja nicht das erste Mal verknallt. Es ist mehr, Charly, ich kann es dir gar nicht beschreiben, es ist so tief und echt. Das habe ich sofort gemerkt. Jonas ist meine andere Hälfte.«
Charly hatte nur die Augen verdreht. »Andere Hälfte, andere Hälfte. Du redest ja schon wie meine spießige Tante Annette. Die spricht auch nur von ihrer ›besseren Hälfte‹, wenn sie ihren Mann meint.«
»Das ist doch was ganz anderes!« Echt, Charly verstand mal wieder gar nichts. In Philosophie hatten sie gerade von Platons Kugelmenschen gehört, die mit vier Beinen, vier Armen und zwei Gesichtern den Göttern zu mächtig wurden und von Zeus deshalb in zwei Hälften geteilt worden waren. Seitdem sucht jede Hälfte nach ihrer anderen Hälfte, um sich mit ihr zu vereinen, um wieder rund zu sein. Charly, als naturwissenschaftlicher Mensch , konnte dem nur ein Lächeln abringen.
»Die Sache mit den Kugelmenschen ist zwar eine schöne Geschichte, aber mehr auch nicht. Also, ich möchte nicht mein ganzes Leben lang nach meiner anderen Hälfte suchen. Stell dir mal vor, du findest sie nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist nämlich sehr gering.« Julia hoffte, dass Charly nicht wieder mit einer Wahrscheinlichkeitsrechnung anfing – das letzte Mal hatte sie ihr vorgerechnet, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, im Lotto zu gewinnen. »Und selbst wenn du deine andere Hälfte finden solltest, wird es auf die Dauer langweilig, immer nur rund zu sein. Ohne Ecken und Kanten. Außerdem sinkt dann die Möglichkeit, jemand anderen kennenzulernen. Ich glaube nämlich nicht, dass man sich nur einmal im Leben verlieben kann. Meine Oma zum Beispiel …«
Okay, keine Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber nun Betrachtungen am Beispiel von Charlys Oma. Das musste ja kommen. Julia wusste, worauf Charly anspielte, sie kannte ihre Oma. Die war cool, sah noch gut aus, lernte dauernd irgendwelche Sprachen und verreiste viel. Alle fünf bis acht Jahre verliebte sie sich neu, und Julia hatte ihre letzte und jetzige »große Liebe« auch schon kennengelernt. Aber Charlys Oma war Charlys Oma und hatte nichts mit Julia zu tun! Die Liebe zu Jonas war einmalig. Charly schnallte eben nicht, dass mit Julia und Jonas alles ganz anders war, und dass Julia mit der Kugelmenschgeschichte endlich eine Erklärung für ihren Zustand mit Jonas gefunden hatte. Jawohl, sie befand sich in einem einzigartigen Zustand, der alle Grenzen sprengte. Sie war sich sicher, dass nicht jeder so tief empfinden würde wie sie – und Jonas. Schon gar nicht Charlys Oma! Mit ihr und Jonas war etwas Wundervolles geschehen. Sie waren auserkoren, von Amor oder per Zufall aufeinandergetroffen – und eins geworden. Wenn das doch nur jemand verstehen könnte! Dann müssten nicht alle versuchen, sie zu trösten. Dann … Julia wusste selbst nicht, was dann.
»Los, komm
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