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Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Dölling
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standen und uns in einer Scheibe reflektierten, da habe ich gedacht, wir sind auch doppelt, Jonas und ich.«
    Julia nickt. Dann sagt sie: »Aber nicht gleich.« Ihre Hände bohren sich tiefer in die Hosentaschen.
    »Ein bisschen schon«, sagt Kolja leise. »Mir wird immer mehr bewusst, wie sehr wir uns ähneln.«
    Julia hört ihre Schritte. Koljas Schritte auch. Sie knirschen auf den vielen kleinen Steinchen, es hört sich an, als würden Gelenke aufeinanderreiben. Julia nimmt die Hände aus den Hosentaschen, streckt die Schultern durch. Sie hört ihren Schauspiellehrer: Lasst euch nicht hängen! Das Wichtigste ist, euch selbst zu beobachten, jede Bewegung wahrzunehmen. Konzentriert euch darauf, wie viele Muskeln ihr dabei anspannt – und entspannt sie. Loslassen, Julia! Öffne dich!
    Ihre Fäuste platzen auf wie reife Kastanien. Die Finger kribbeln, weil das Blut wieder fließt. Es fließt durch den ganzen Körper. Sie wird ganz leicht. Ihre Schritte knirschen auch nicht mehr. Gut, Julia, wachse!
    Kolja erzählt noch von Den Helder.
    »… und die Frauen standen mit ihren Fahrrädern auf der Straße, kamen vom Einkaufen wieder und tratschten.«
    »Worüber?«
    »Über die Leute, die nur eine Vase und einen Porzellanhund im Fenster hatten.«
    »Hast du das verstanden? Kannst du Niederländisch?«
    »Ein bisschen versteht man doch immer.«
    »Jonas auch?«
    »Ja. Wir haben uns ganz schön darüber amüsiert. Was meinst du, wie wir angeguckt wurden, und das nicht gerade auf die freundlichste Art. Wahrscheinlich sind zwei Typen auf Motorrädern immer verdächtig, nicht nur in den Niederlanden.«
    Jonas mit seiner braunen Lederjacke und dem schwarzen Helm. In der Stadt fuhr er mit Jeans und Sneakers. Für längere Strecken hatte er Motorradstiefel. Julia hat noch den Klang der Maschine im Ohr, wenn er sie startete.
    »Du hast also auch ein Motorrad«, sagt sie – und kann sich Kolja gar nicht auf einem Motorrad vorstellen.
    »Ich bin seit Jonas’ Unfall nicht mehr damit gefahren.«
    Sie gehen eine Weile, ohne zu reden. Normalerweise wäre sie jetzt mit Jonas in Den Helder. Und in Warmenhuizen hätte er ihr die doppelten Porzellanhunde und die Tratschweiber gezeigt. Und sie hätten sich in den Fenstern gespiegelt: ein glückliches junges Paar, auf dem Weg zur Küste. Sie hört Kolja reden, fragt nicht mehr nach, der Boden unter ihren Füßen ist weich, ihre Worte sacken ein, sie muss bei jedem Schritt aufpassen, dass sie nicht auch einsackt. Aber Koljas Stimme lässt sie nicht versinken. Du musst keine Angst haben!
    Am Wegrand ist ein Ameisenhaufen, riesiges Gewimmel. Alles funktioniert, fragt sich nur, wieso. – Julia funktioniert auch wieder; sie geht spazieren und neben ihr geht Kolja, im Gleichschritt. Ihr Arm streift seinen Arm, dann nimmt er ihre Hand, ganz vorsichtig, als wäre sie aus Weihnachtskugelglas. Sie gehen Hand in Hand. Seine Hand ist kühl und weich und hält sie fest. – Ich werde dich beschützen!
    Sie hat das Gefühl, als würde sie Kolja schon ewig kennen. Er ist ihr Freund, ein Seelenverwandter, mit ihm kann sie Jonas nahe sein. Das lässt sie aufatmen, bringt Raum in ihre Seele. Sie könnte immer so weitergehen, Hand in Hand, und in den Bäumen zwitschern die Vögel.

KAPITEL 11
    Spatzen
    Sie hat sich mit Anne bei Fräulein Frost verabredet, ein Eiscafé in Neukölln. Anne ist schon da. Sie sitzt draußen, auf einem der Schlitten, die als Bänke auf dem Bürgersteig stehen.
    »Hey, Julia!« Sie steht auf und drückt sie an sich, als wären sie die besten Freundinnen. Julia setzt sich ihr gegenüber, auch auf einen Schlitten.
    »Cooler Laden«, sagt Anne. Sie trägt die Haare heute offen. Sie fallen glatt bis auf die Schultern.
    »Warst du noch nicht hier?«
    »Nein, letzten Winter, als ich öfter in Neukölln war, gab es die Eisdiele noch nicht.«
    »Wo wohnst du denn?«
    »Charlottenburg. Am Stuttgarter Platz.«
    »Ach ja«, sagt Julia. Das stand ja auf der Visitenkarte.
    Ein Mädchen mit roten Haaren und schneeweißer Haut kommt und nimmt die Bestellung auf.
    »Ich nehme einen Eiskaffee«, sagt Julia. »Ohne Sahne.«
    »Ich auch«, sagt Anne. »Aber mit Sahne.«
    Drei Spatzen fliegen auf einen Schlitten neben Julia und sitzen eng beieinander – wie auf dem grünen T-Shirt von Jonas. Er sah so verdammt gut damit aus! Wie er auf dem Bett sitzt, Kissen in den Rücken gestopft, die Beine ausgestreckt, seine nackten Füße ragen aus der alten Jeans. Im Hintergrund spielt Fat Freddy’s

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