Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Dölling
Vom Netzwerk:
Freiburg. Sie haben kaum Kontakt, weil Mama das Getue ihrer kleinen Schwester nicht ertragen kann. Man dürfe auf keinen Fall den Klodeckel offen lassen, weil sonst die Energie aus dem Haus flöten ginge. Außerdem hat sie überall Kristalle und Edelsteine liegen, die schlechte Energie aus dem Computer fernhalten sollen. Jede Regung wird gedeutet. Mama ist das zu sektiererisch, sie halte das nicht aus, deswegen besuchen sie sich nur selten. Julia kann sich nur vage an Tante Birgit erinnern, die sie das letzte Mal auf der Beerdigung von Oma Iris gesehen hat – vor sieben Jahren.
    »Und du könntest auch Kontakt aufnehmen zu …?« Julia schluckt den Namen runter.
    »Klar«, sagt Anne, als wäre es das Normalste der Welt. »Und ich habe doch letztes Mal schon gesehen, wie du leidest. Beim Volleyball. Da dachte ich, ich muss dir helfen. Aber leider gab es keine Gelegenheit, dich darauf anzusprechen, du warst mit Kolja da.« Anne schaut sie mit schmalen Augen an. Julia kann diesen Blick nicht deuten.
    »Ja und?« Sie kann keinen Kaffee mehr durch den Strohhalm ziehen, er ist zu sehr zerkaut. Sie will auch keinen Kaffee mehr, ihr Hals ist verklebt, sie möchte ein Glas Wasser, aber ausgerechnet jetzt ist die Bedienung nicht zu sehen. Anne redet weiter von diesen Sitzungen. »… und da dachte ich, ich könnte dich vielleicht mal mitnehmen«, schließt sie gerade einen Satz. »Du brauchst überhaupt keine Bedenken zu haben, das ist ein erfahrenes Medium, bei der ich mich ausbilden lasse, Kitty Blossom aus England. Wir treffen uns …«
    »Nein«, sagt Julia und steht auf. »Danke.« Sie nimmt ihre Tasche und geht in den Laden, an den Tresen. »Ich hätte gern ein Glas Leitungswasser, und ich möchte bezahlen, bitte.«
    Das Wasser trinkt sie in einem Zug. Sie spürt Anne hinter sich, wendet sich aber nicht um. Die Bedienung schaut auf ihren Block.    
    »Ein Eiskaffee?«
    »Ja.«
    »Mit Sahne?«
    »Ohne!«
    »Dreifünfzig, bitte.«
    Sie gibt ihr vier Euro und geht an Anne vorbei. »Tut mir leid, aber ich muss schleunigst los.«
    »Kein Problem«, sagt Anne. »Pass auf dich auf. Wir sehen uns!«    
    Wieso ist sich Anne so sicher, dass sie sich wiedersehen werden?
    Zu Hause geht Julia gleich an den Computer und googelt spiritistische Sitzungen . Sie liest mehrere Erfahrungsberichte über Leute, die beim Gläserrücken mitgemacht haben. Die meisten waren erst skeptisch und dann völlig überrascht, weil die Gläser sich tatsächlich bewegten und eine Nachricht übermittelt haben. Es wird empfohlen, dass man vor dem Gläserrücken unbedingt einen Salzkreis um die Gläser streut, um die bösen Geister und Dämonen abzuwehren, die natürlich auch gerufen werden können, sozusagen als ungewollte Begleiterscheinungen.
    Julia klickt bei Séancen und erfährt, dass die Blütezeit der Séancen und spiritistischen Zirkel zwischen 1850 und 1890 war. Die Treffpunkte waren stets geheim und wurden von der viktorianisch-puritanisch geprägten Gesellschaft gemieden, weil es bei diesen Treffen auch zu sexuellen Ausschweifungen kam. Séancen seien halt gute Gelegenheiten gewesen, sich näherzukommen.
    Dann hat man früher solche Sitzungen also für sexuelle Ausschweifungen benutzt? Julia schmunzelt. Interessant, interessant. Ob man das heute auch noch macht? Vielleicht ist Anne einfach nur prüde und braucht solche Gelegenheiten, um zum Zuge zu kommen. Vielleicht ist sie auch lesbisch. – Andererseits braucht man heutzutage doch keine geheimen Zirkel mehr, wenn man Sex haben will. Sex gibt es überall, im Internet, in Kinos, in Shops oder in Swingerclubs. Das weiß doch jedes Kind!
    Vielleicht ist ja doch ein bisschen was dran an dem, was Anne erzählt. Schließlich hat es Frauen mit übersinnlichen Fähigkeiten schon immer gegeben. Oder?

KAPITEL 12
    Solero
    Nun ist der Unfall schon fünf Wochen her. Berlin ist ruhig und leer, alle sind im Urlaub. Es ist drückend, schwül, neunundzwanzig Grad, keine Sonne, der Himmel novembergrau. Julia fühlt sich wie auf Entzug. Nicht dass sie sich mit Drogen auskennt – wenn man von ein bisschen Marihuana ab und zu mal absieht –, aber so stellt sie sich Entzugserscheinungen vor: Der Körper zieht, jede Bewegung tut weh, und innen ist eine Unruhe, die einen in den Wahnsinn treibt. Sie kann nicht sitzen, nicht stehen, sich auf nichts konzentrieren, Gedanken sind mit Senf beschmiert und hinterlassen brennende Schlieren im Gehirn. In ihr mahlt ein Mühlstein, und alles, was

Weitere Kostenlose Bücher