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Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Dölling
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eine Waffeltüte mit Walnuss aus der Truhe, fragt Julia, was sie möchte.
    »Du bist ja ganz blass«, sagt sie.
    Julia konzentriert sich auf ihren Mund, die Zunge, kehrt zurück in den Supermarkt. Aus einem Lautsprecher ertönt eine Männerstimme: »Heute im Angebot, Tütensuppen von Erasco, denn: Das Gute daran ist das Gute darin«. Julias Hand greift in die Truhe. Wie schön kalt es dort ist. Sie lässt die Hand in der Truhe, wühlt im Eis. Die Finger fangen schon an, wehzutun.
    »Na, kannst du dich denn gar nicht entscheiden?«, fragt Mama. Sie will zur Kasse, damit ihre Waffeltüte nicht schmilzt. Julia fischt ein Solero heraus. Das können wir zu zweit schlecken. Sie reißt das Papier ab. Das Eis ist so kalt, dass ihre Zungenspitze daran kleben bleibt. Sie schmeckt nichts, nur Leichenstarre, alles ist leer und die Wände rücken näher auf sie zu.
    Ihr Herz fängt wieder an zu rasen, stolpert, fällt. Von hinten kommt ein Panzer und überrollt sie. Dann piepst ihr Handy. Mit tauben Fingern fischt sie ihr Telefon aus der Hosentasche, klappt es auf. Eine SMS von Kolja. – Wollen wir morgen einen Ausflug machen?
    Mama drängt sie mit dem Einkaufswagen zur Kasse. Sie muss nur einen Fuß vor den anderen setzen. Julia legt das Eispapier auf das Laufband. Als es bei der Kassiererin ankommt, quillt ein geschmolzener Rest aus dem Papier und hinterlässt einen klebrigen Fleck. Die Kassiererin muss erst nach einer Küchenrolle suchen, reißt ein Tuch ab, wischt über das Band, nimmt mit spitzen Fingern das Papier und zieht es über den Scanner.
    Draußen ist die Welt weit, warm und groß! Wind weht Julia um die Knie. Sie bringt den Einkaufswagen weg. Atmet. Vor ihr geht ein großer Blonder mit brauner, abgewetzter Lederjacke. Sie stolpert über ein Rad des Einkaufswagens, fängt sich wieder. Der Blonde verschwindet um die Ecke.
    Sie schiebt den Wagen in die anderen Wagen, nimmt den Euro. Weiter hinten auf dem Parkplatz wartet schon ihre Mutter.

KAPITEL 13
    Eine kleine gelbe Raupe
    Wenn Julia nicht Schauspielerin hätte werden wollen und sie an diesem Tag, an dem Unfalltag, nicht voller Sprech-Stoff gewesen wäre, den sie noch vom Kurs im Kopf gehabt hatte, und wenn sie nicht Nina Hagen repetiert hätte, dann hätten sie sich zwar auch bei wehenden Vorhängen geliebt, aber alles wäre anders ausgegangen. Begonnen hätte es vielleicht genau so: sich erst nur ein bisschen umtänzeln, präsent sein, sich locker machen, die Lust locker machen, dann Schauen. Schauen + spielen = schauspielern. Und mit sich spielen + zusammen spielen = Lust.
    Wenn sie also nicht Schauspielerin hätte werden wollen und an diesem Tag nicht voller Sprechübungen gewesen wäre, hätten sie sich hinterher vielleicht nicht über Filme unterhalten und Jonas wäre nicht auf jenen Film gekommen, somit auch nicht aus dem Bett gesprungen, um den Film zu holen. Er wäre vielleicht später, irgendwann mal, auf die Idee gekommen, ihr Der Himmel über Berlin zu zeigen, seinen Lieblingsfilm, weil man ja Leidenschaft teilen möchte, von der nun nur noch Leid übrig geblieben ist.
    Sie hätten im Bett gelegen, zufrieden, erschöpft, glücklich, und das Gewitter wäre draußen geblieben, hätte nur in die Vorhänge geatmet, das Zimmer dämmrig gemacht und die Luft gewaschen. Und dann wären sie durch die noch dampfenden Straßen gegangen, Hand in Hand oder Arm in Arm, eng aneinandergeschmiegt, warm voneinander, und hätten Scherze gemacht, irgendwelche blöden Bemerkungen, über die sie sich amüsiert hätten. Mit Jonas konnte man so gut lachen, rumalbern, er mochte diesen Unterton von ihr, wenn sie ganz ernst Kommentare abgab, wie »das hat uns gerade noch gefehlt« oder »nun wollen wir aber mal nicht übertreiben« oder »mit Essen spielt man nicht«. Oder sie zitierte Filmstellen. Jonas liebte es, wenn sie sich mit einer Zigarette ins Zimmer stellte und Marlene Dietrich aus Der Blaue Engel zitierte, mit Stay-ups natürlich. Das war es, was Jonas an der Szene besonders liebte, wie sie da mit halterlosen Strümpfen mit Spitze vor ihm her stiefelte – und dann ein Bein auf einen Stuhl stellte, an der Zigarette zog und ihn durch halb geschlossene Lider anblinzelte. Jonas hatte ihr, um die Szene zu perfektionieren, eine silberne Zigarettenspitze geschenkt.
    Jetzt gibt es keinen Raum mehr, keinen Stuhl, keine Bretter, die die Welt bedeuten. – Nichts bedeutet ihr noch etwas. Alles ist leer. Soll sie wirklich mit dem Schauspielern weitermachen? Sie kommt sich

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