Je mehr Löcher, desto weniger Käse
Sie um den Brocken herum und sehen plötzlich auf der Rückseite, dass ein kleiner Stein unter dem Felsen klemmt, der verhindert, dass er ins Rollen kommt. Und dieser kleine Stein ist der Schlüssel zur Lösung! Sie versuchen nicht mehr, den Felsen aus eigener Kraft ins Rollen zu bringen – Sie rütteln vielmehr nur ein bisschen an ihm, um dabei schnell den kleinen Stein wegzuziehen. Danach rollt der Koloss ganz von allein los. Statt den großen Felsen über ein kleines Hindernis zu rollen, nehmen Sie einfach das kleine Hindernis weg. Das ist clever, denn es spart eine Menge Kraft. Und genauso funktioniert für mich ein eleganter Beweis. Was schwierig bis unlösbar erscheint, wird plötzlich einfach.
Der britische Zahlentheoretiker Godfrey Harold Hardy (1877–1947) erklärte das Fach Mathematik sogar für generell schön. Was nicht schön ist, hat seiner Meinung nach keinen Bestand: »Es gibt keinen dauerhaften Platz für Hässliches in der Mathematik.«
Was aber meinte Hardy, wenn er vom Hässlichen in der Mathematik sprach? Ich glaube, genau dasselbe, was wir alle denken: Zusammenhänge bleiben unklar, der rote Faden einer Argumentation fehlt, Erläuterungen wirken umständlich.
Glaube an die Schönheit
Ein außergewöhnlicher Mathematiker, der sich ganz besonders für schöne Beweise interessierte, war Paul Erdös (1913–1996). Er erzählte zum Beispiel, dass manche Beweise wunderschön seien, aber einen kleinen Makel hätten. Sie seien nämlich leider auch falsch.
Erdös glaubte ähnlich wie Hardy fest daran, dass es eigentlich immer einen eleganten, richtigen Beweis geben muss. Er sprach sogar von einem Buch, in dem der liebe Gott alle seine perfekten Beweise gesammelt hat. »Man muss nicht an Gott glauben«, meinte er, »aber als Mathematiker sollte man an die Existenz des Buches glauben.«
Erdös starb, bevor er dieses Buch selbst fertigstellen konnte. Günter Ziegler und Martin Aigner haben die Idee des ungarischen Mathematikers 2002 umgesetzt. »Das BUCH der Beweise« heißt ihr Werk. Leider sind die meisten darin gesammelten Beweise für Laien zu schwer. Ein Grundstudium der Mathematik wird in den meisten Kapiteln vorausgesetzt. Aber zumindest einen Beweis aus dem Buch möchte ich Ihnen in diesem Kapitel vorstellen. Er ist ein Klassiker:
Satz: Es gibt unendlich viele Primzahlen.
Wie beweist man das am besten? Ich könnte versuchen, alle Primzahlen durchzunummerieren. Dabei stelle ich dann womöglich fest, dass das Ganze einfach kein Ende nimmt. Aber wie lange soll das dauern? Wenn es tatsächlich unendlich viele Primzahlen sind, unendlich lang. So kriegt man den Beweis nicht hin, das ist schon mal klar. Wie also weiter?
Statt das Problem direkt zu lösen, gehen wir indirekt vor –quasi hintenherum. Einbrecher machen es im Grunde genauso: Sie knacken nicht etwa das dicke Schloss an der Hauseingangstür. Nein, sie gehen zur Rückseite des Hauses und finden dort ein offenes Kellerfenster, von dem sie nur noch das Gitter abschrauben müssen.
W er die Geometrie begreift, vermag in dieser Welt alles zu verstehen.
Galileo Galilei (1546–1642), italienischer Forscher
Bei einem indirekten Beweis beweisen wir eine Aussage nicht direkt – wir widerlegen stattdessen ihr Gegenteil. Dass indirekte Beweise überhaupt möglich sind, liegt an der logischen Konsistenz der Mathematik. Eine Aussage ist entweder richtig oder falsch. Und sich widersprechende Aussagen können nicht zugleich wahr sein.
Zurück zu den Primzahlen. Wir versuchen das Problem nicht direkt zu lösen, weil wir es dann ja mit der Unendlichkeit zu tun bekommen. Wir nehmen vielmehr an, dass der Satz nicht stimmt, es also nur endlich viele Primzahlen gibt. Und dann schauen wir, ob das wirklich zutreffen kann.
Wenn es nur endlich viele Primzahlen gibt, dann sagen Mathematiker gern auch, es gibt n Primzahlen. Wie groß n ist, spielt dabei erst mal keine Rolle. Diese n Primzahlen nennen wir p 1 , p 2 , p 3 , …, p n .
Nun bilden wir das Produkt
p 1 × p 2 × p 3 × … × p n
Das ist eine natürliche Zahl mit einer interessanten Eigenschaft: Sie ist durch jede der n Primzahlen p 1 , p 2 , p 3 , …, p n teilbar. Denn die Zahl ist ja das Produkt all dieser Primzahlen. Beispielsweise ist 2 × 3 × 5 = 30 natürlich durch 2, 3 und 5 teilbar.
Jetzt kommt der eigentliche Trick dieses indirekten Beweises: Wir addieren zu dem Produkt der n Primzahlen noch die Zahl 1 hinzu.
p 1 × p 2 × p 3
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