Je mehr Löcher, desto weniger Käse
genau wie beim Haarwirbel auf unserem Kopf. Im Englischen heißt der Satz deshalb auch Hairy ball theorem. Übersetzt in die Alltagssprache lautet er: Egal wie man die Haare kämmt, auf einer vollständig behaarten Kugel gibt es immer mindestens einen Wirbel.
90 Minuten und diverse vollgeschriebene Tafeln brauchte mein Matheprofessor, um das Igeltheorem zu beweisen. Es war also keinesfalls ein einfacher Beweis, aber trotzdem machte es ihm große Freude, uns Studenten den Weg zu zeigen. Weil es ein schöner Beweis für einen verblüffenden Satz war.
Was aber ist Schönheit in der Mathematik eigentlich? Ich vergleiche das Fach gern mit Fußball. Hier wie da müssen die Aktiven bestimmte Grundtechniken beherrschen und die Regeln kennen. Wer den Ball im Netz versenken will, sollte nicht nur eine einzige Schusstechnik draufhaben. Meist geht es um Vollspann oder Innenrist. Es gibt aber auch Situationen, in denen der technisch anspruchsvollere Fallrückzieher die beste Wahl ist.
Ganz ähnlich ist es in der Mathematik. Das Einmaleins gehört zu den Basics, ebenso das Wissen darüber, was eine Primzahl und ein Dreieck sind. Wer noch binomische Formeln und den Satz des Pythagoras kennt, hat mehr Möglichkeiten, Probleme zu lösen. Und natürlich gibt es Situationen, in denen Differenzieren und Integrieren gefragt sind – quasi als Fallrückzieher.
Jetzt ahnen Sie wahrscheinlich schon, wie schöne Spielzüge auf dem Rasen sowie elegante Mathematik entstehen. Indem man einzelne Techniken aus dem großen Reservoir des Bekannten und Erlernten kreativ neu kombiniert – am besten so, wie es keiner erwartet. Im Fußball kann ein Team auf diese Weise schnell mal eine erfahrene Abwehr aushebeln, in der Mathematik ergibt sich daraus vielleicht eine geniale Lösung für ein bis dato unlösbares Problem. Mitunter entdecken Fußballer und Mathematiker sogar einen ganz neuen Trick, den bis dahin niemand kannte.
Fast wie Fußball
Es ist klar, dass viel Übung Vorteile bringt. Der Profiist sicherer im Spiel oder im Beweisen, zudem beherrscht er viel mehr Techniken als der Gelegenheitskicker oder Hobbymathematiker. Aber trotzdem muss niemand beim FC Barcelona unter Vertrag sein, um Spaß am Fußball zu haben. Auch in der Kreisklasse freuen sich Spieler über ein Tor oder einen gelungenen Pass. Und genauso kann jeder Spaß mit Mathematik haben.
Wenn es um die Einschätzung von Eleganz geht, enden jedoch die Ähnlichkeiten von Fußball und Mathematik. Fans können sich nur selten einigen, wer den schönsten Fußball spielt. Die meisten sagen natürlich: unsere Mannschaft. Aber selbst ausgewiesene Experten, deren Herz nicht für ein bestimmtes Team schlägt, haben verschiedene Ansichten, was ein elegantes Spiel auszeichnet. Der eine mag schnelles, direktes Spiel. Der nächste steht auf Hackentricks und brasilianischen Ballzauber. Und der dritte begeistert sich für die scheinbar endlosen Ballstafetten, mit denen die spanische Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren nahezu sämtliche Gegner um den Verstand gespielt hat.
Was Schönheit ist, darüber streiten nicht nur Fußballfans, sondern auch Philosophen, Künstler, Kunstwissenschaftler und Psychologen – und zwar seit Jahrhunderten. In der Mathematik ist das anders. Wenn ein Mathematiker sagt: »Das ist ein wunderbar eleganter Beweis«, dann wird er bei Kollegen kaum auf Widerspruch stoßen. Ist das nicht kurios?
Offenbar gibt es unter Mathematikern einen Konsens darüber, was Schönheit ist. Den eindeutigen Kriterienkatalog dafür sucht man jedoch vergebens. Die einen schwärmen für das überraschend Einfache, die anderen für Klarheit oder Kürze. Für den Berliner Mathematiker Martin Aigner ist es der Dreiklang aus Transparenz, Stringenz und Leichtigkeit, der einen mathematischen Beweis elegant macht. Aigner hat sicher etwas andere Vorstellungen von einem transparenten und leichten Beweis als der Laie – aber im Grundsatz wird man ihm kaum widersprechen können.
Ein Beweis zeigt die Richtigkeit einer Aussage. Nicht selten sind Beweise lang und umständlich. Ich möchte Ihnen mit einem einfachen Vergleich verdeutlichen, wie ich mir einen schönen, eleganten Beweis vorstelle. Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einem Berg und Sie sollen einen Felsbrocken den Berg hinunterrollen, der neben Ihnen liegt. Das Problem: Ihre Kraft reicht einfach nicht, um den Koloss zu bewegen. Sosehr Sie auch schieben und rütteln, der Fels bewegt sich kaum einen Millimeter.
Frustriert gehen
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