Je sueßer das Leben
schon überlegt, ob sie nicht einen Kurs anbieten soll, in dem man lernt, wie man seine eigenen Kräutertees herstellt. Dann würden die Leute vielleicht größere Mengen abnehmen, aber das ist nur ein weiterer Eintrag auf ihrer immer länger werdenden Liste guter Absichten.
Die Türglocke geht, und Madeline sieht auf. Es ist noch nicht einmal sieben Uhr. Normalerweise sperrt sie eine halbe Stunde vor der eigentlichen Öffnungszeit auf und dreht das Schild um, weil sie weiß, dass einige Kunden einen Becher Tee und ein Scone für die lange Fahrt zur Arbeit mitnehmen wollen. Inzwischen kennt sie sie alle beim Namen und sieht sie fast als ihre Kinder, selbst die erwachsenen Männer, die eigene Familien haben. Sie muss aufpassen, dass sie ihre Wünsche nicht einfach auf Avalon projiziert. Einen Stift hinterm Ohr, schiebt sie den Laptop zur Seite.
Zögernd tritt eine junge Frau Anfang zwanzig ein, mehrere Kästen auf dem Arm. Ihre kurzen schwarzgefärbten Haare stehen in alle Richtungen ab. »Sind Sie die Freundschaftsbrot-Frau?«
Gott, sie hofft, dass das nicht ihr neuer Spitzname wird. Das fiele in die gleiche Kategorie wie die Tauben-Frau, die Katzen-Frau, die spinnerte Frau und was es sonst noch so gab. »Sagen Sie einfach Madeline.«
Die junge Frau lässt die Kästen mit einem dumpfen Knall auf einen Tisch plumpsen. Madeline zählt sechs Stück. »Ich heiße Connie«, sagt die junge Frau. »Ich habe bis vor kurzem im Avalon Wash and Dry gearbeitet. Ich hatte massenhaft Kundinnen, die dieses Freundschaftsbrot gebacken haben, und irgendwann wurde ich zu einer Art Expertin.« Sie deutet auf die Kästen. »Jetzt weiß ich nicht, wohin mit den Rezepten. Ich habe es schon in der Bücherei probiert, aber die wollen sie nicht nehmen. Ich würde sie gern irgendwo unterbringen, wo die Leute einfach hingehen und ein Rezept oder Tipps finden können, Sie wissen schon.«
Madeline ist neugierig geworden. Sie zieht einen der Kästen zu sich heran und bietet der jungen Frau mit einer Geste einen Stuhl an. Dann öffnet sie den Kasten und pfeift leise, als sie die vielen Karteikarten darin sieht. Sie holt eine heraus, auf der das Rezept für eine tropische Variante mit Ananas und Kokosnuss steht. Die anderen Kästen sind ebenfalls voller Karten, wie sie mit einem kurzen Blick feststellt – Rezepte und Tipps, alle fein säuberlich geordnet. Sie ist mehr als beeindruckt – Madeline weiß, dass man für so etwas viel Geduld braucht. »Haben Sie das gemacht?«
Die junge Frau nickt. »Können Sie sie vielleicht nehmen? Ich würde sie ja bei mir zu Hause aufbewahren, aber es wäre irgendwie komisch, wenn dauernd irgendwelche Leute bei mir reinschneien, und mein Vermieter wäre sicher auch nicht erfreut. Er hat immer noch nicht das Waschbecken im Bad gerichtet, so dass ich mir die Zähne in der Küche putzen muss.« Sie sieht an ihr vorbei in die Diele. »Aber hierher würde es gut passen. Vielleicht würde das ja auch Ihr Geschäft ankurbeln und mehr Leute herlocken. Also, nicht, dass Sie das nötig hätten, natürlich.« Ein besorgter Ausdruck huscht über Connies Gesicht, so als hätte sie Angst, Madeline vor den Kopf gestoßen zu haben.
Es braucht in letzter Zeit allerdings viel, um Madeline vor den Kopf zu stoßen, und sie schenkt Connie ein freundliches Lächeln. »Ich kann jede Hilfe brauchen.«
»Dann wären Sie also einverstanden?«
Madeline wüsste nicht, was dagegen spräche. Für die paar Kästen findet sie in ihrem riesigen Haus allemal ein Plätzchen. »Natürlich. Stellen Sie sie einfach in den Flur oder nein, besser noch in das große Wohnzimmer auf der anderen Seite des Flurs. Der Raum wird sowieso kaum benutzt, und die Leute können sich auch hinsetzen, wenn sie wollen.«
Connie greift in ihre Tasche und zieht einen Stapel neuer Karteikarten heraus. »Die habe ich gekauft. Falls jemand ein Rezept abschreiben will oder so.«
»Das ist aber sehr umsichtig von Ihnen.«
Connie zuckt mit den Achseln. »Soll ich alles ins Wohnzimmer bringen?«
Madeline nickt lächelnd, und Connie packt die Kästen rasch und trägt sie hinaus. Als sie ein paar Minuten später zurückkehrt, hat sie ein Staubtuch in der Hand.
»Das habe ich neben einer Lampe gefunden«, erklärt sie Madeline. »Es sah so aus, als wären Sie beim Staubwischen gestört worden, und da habe ich schnell zu Ende gewischt.«
Madeline erinnert sich nicht einmal mehr daran, dass sie im großen Wohnzimmer Staub gewischt hat. Muss letzte Woche gewesen sein.
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