Je sueßer das Leben
Freundschaftsbrot der Amish (bislang ließ sich nicht bestätigen, dass die Amish irgendetwas mit dem Rezept zu tun haben). Der Teig erfordert tägliche Aufmerksamkeit, man muss ihn zärtlich drücken und kneten und am sechsten Tag einige Zutaten hinzufügen (Mehl, Zucker, Milch). Am zehnten Tag fügt man diese Zutaten erneut hinzu, füllt drei Viertel des Teigs in Beutel und backt den Rest. Dann muss man nur noch drei Freunde finden, die naiv genug sind, um sich einen solchen Teigbeutel in die Hand drücken zu lassen, und denen zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist, dass sie in zehn Tagen ihrerseits drei Freunde finden müssen, um ihn loszuwerden.
Was soll daran so schlimm sein?, denken Sie jetzt vielleicht. Nun, strengen Sie einfach Ihre Fantasie ein wenig an: Eine Person behält einen Beutel und gibt drei an Freunde weiter. Alle vier machen das in zehn Tagen wieder, und so geht es immer weiter. Nach drei »Teiggenerationen« (etwa ein Monat) sind schon vierundsechzig Beutel in Umlauf. Nach vier Generationen sind es 256. Sechs Generationen: 4096. Und nach zehn Generationen (etwa dreieinhalb Monate): 1.048.576. Sie wollen gar nicht wissen, wie es nach fünfzehn Generationen aussieht.
Am Freundschaftsbrot kann man ausgezeichnet verfolgen, wie schnell sich Epidemien ausbreiten. Ist es nicht unglaublich, dass im digitalen Zeitalter bestimmte Viren noch auf die altmodische Weise von Hand zu Hand weitergegeben werden? Und das alles im Namen der Freundschaft.
»Also, ich mache auf dem Absatz kehrt, wenn mir jemand mit einem von diesen Gefrierbeuteln entgegenkommt«, sagt Sue Pendergast, die Organistin der Avalon United Methodist Church. »Ich will ja nicht unchristlich klingen, aber ich finde es ziemlich anmaßend, wenn die Leute glauben, ich hätte Zeit und Muße, um mich wegen eines Brotes Stunden in die Küche zu stellen. Das ist doch der Mühe nicht wert.«
Eleanor Winters ist derselben Meinung. »Ich habe gehört, dass Martha Stewart Schwierigkeiten hatte, es hinzukriegen. Wenn Martha Stewart es schon nicht hinkriegt, wie soll ich es dann schaffen?«
Das Rezept sieht auf den ersten Blick ganz einfach aus, aber ein paar Dinge gilt es zu beachten. Man darf bei der Zubereitung keine Utensilien aus Metall verwenden, weil das den Gärvorgang stört. Laut Dr. Roland Fetters von der University of Chicago enthält der Teig Säuren, die Metalle lösen.
»Es findet eine chemische Reaktion statt«, erklärt Dr. Fetters. »Der Teig wird mit dem Metall nicht nur kontaminiert, er wird getötet.« Diese kleine Eigenheit des Teigs ist verantwortlich für den kürzlich auf dem Polizeirevier von Avalon ausgelösten ABC -Alarm, als man entdeckte, dass Cora »Miss Sunshine« Ferguson einen Teigbeutel bei sich trug. Wer den Teig gesehen hat, weiß, dass man ihn leicht für eine verdächtige Substanz halten kann. Da Ferguson nicht imstande oder bereit war, sich näher über diese Substanz zu äußern, wurde in der Stadt ABC -Alarm ausgerufen, der mit nicht unerheblichen Kosten für den Steuerzahler verbunden war.
Wie gesagt, man muss sich tagtäglich um den Teig kümmern. Unter anderem muss man ihn regelmäßig kneten und die Luft aus dem Beutel lassen, sonst fängt er unter Umständen an zu schimmeln oder kann größere Reinigungsarbeiten nach sich ziehen, die unweigerlich dazu führen, dass man den freundlichen Spender des Teigs auf alle Zeiten verflucht (siehe Foto rechts).
Was uns zu der bedeutsamen Frage bringt: Wie ist das Freundschaftsbrot überhaupt in diese kleine Stadt gelangt? Niemand kann es mit Bestimmtheit sagen, aber das erste Mal wurde er im März dieses Jahres auf der Veranda von Julia und Mark Evarts gesichtet, wo ihn ihre Tochter Gracie, 5, entdeckte. Julia Evarts behauptet zwar, sie wisse nicht, wer ihn dort hingelegt hat, aber es erinnert sich niemand daran, dass das Freundschaftsbrot jemals zuvor in Avalon gesehen (oder gegessen) wurde.
Die Einwohner Avalons sind geteilter Meinung, ob das, was mit Mrs. Evarts begann, ein Segen oder ein Fluch ist.
»Freunde schenken sich kein Freundschaftsbrot«, sagt Earlene Bauer, Augenoptikerin im Avalon All Eyes Vision Center. »Wenn ich einen solchen Beutel bekomme, schmeiße ich ihn sofort weg.«
»Mir schmeckt das Freundschaftsbrot, aber der Teig klebt einem wie Pech an den Fingern«, erklärt seufzend Pearl Kirby, eine begeisterte Vogelkundlerin, die Stunden im Avalon Park auf der Lauer liegt, um einen weißbrüstigen Kleiber zu entdecken. »Eine meiner
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