Je sueßer das Leben
riesiges Architekturbüro. Sie arbeiten international, ein regelrechter Konzern, der alles abdeckt von der Planung über die Inneneinrichtung bis zum Projektmanagement und weiß der Teufel was sonst noch. Sie spielen in einer völlig anderen Liga, weshalb Mark in ihnen auch keine Konkurrenz sieht, obwohl das in diesem Geschäft jeder ist. Er glaubt auch nicht, dass sie scharf darauf sind, sich das Projekt von Lemelin unter den Nagel zu reißen, aber man weiß ja nie. Wie dem auch sei, jedenfalls stellt es einen Interessenkonflikt und einen massiven Vertrauensbruch dar, wenn Vivian ihre Arbeit einem Außenstehenden zeigt, erst recht einem potentiellen Konkurrenten. Dass sie es nicht besser weiß, erstaunt ihn. Und dann kommt ihm der Gedanke, dass sie es vielleicht besser weiß, es ihr aber egal ist.
Mark schließt die Augen. Victor hat ihn genau davor gewarnt, dass nämlich Vivians Ehrgeiz ihre Machtbefugnisse im Büro bei weitem übersteigt. Sie ist kein Partner bei G&E, gehört nicht einmal zur Geschäftsleitung. Vielleicht hat sein Urteilsvermögen unter seiner Begeisterung für ihre Klugheit gelitten, aber jetzt dämmert ihm langsam, was auf dem Spiel steht.
Vivian scheint zu spüren, dass sich am anderen Ende etwas zusammenbraut, denn plötzlich ändert sie ihren Ton. »Mark«, sagt sie sanft. »Ich dachte einfach, dass es unter den gegebenen Umständen angebracht wäre, mit einem neutralen Dritten zu reden. Jemandem, der die ganze Zeit mit Leuten von Brunos Kaliber zu tun hat. Ich will dieses Projekt nicht verlieren …«
»Du willst nicht, dass wir das Projekt verlieren, meinst du.« Seine Stimme klingt argwöhnisch.
»Ja, natürlich. Wir. Klar. Ich habe natürlich uns gemeint.« Sie lacht nervös. »Aber das ist doch nicht so wichtig, Mark. Wichtig ist nur, dass ich alles dabeihabe, was wir brauchen. Ich bin überzeugt, dass ich den Zuschlag bekomme – für uns –,selbst wenn du es nicht zu dem Treffen schaffst. Ich habe alles im Griff. Es ist kein Problem.«
»Doch«, sagt Mark, »es ist ein Problem, Vivian.«
Erstauntes Schweigen. Dann: »Mark …«
»Warte«, sagt er mit fester Stimme. »Ich schätze dein Engagement wirklich, Vivian, nur …«
»Du schätzt mein Engagement?« Es klingt verächtlich, wie sie das sagt, und von ihrer Sanftmütigkeit ist nichts mehr zu merken.
Mark knirscht mit den Zähnen. Normalerweise ist er in solchen Dingen ganz geschickt, aber Vivian schafft es, ihm die Worte im Mund zu verdrehen. An dem Abend damals in Chicago dauerte es vier Stunden und ein reichhaltiges Mahl, bis sie wieder halbwegs nüchtern war. Sie war völlig fertig gewesen, hatte in den letzten Tagen viel zu wenig gegessen und Raubbau mit ihren Kräften getrieben. Während des Abendessens hörte er sich ihre Geschichte an, von ihrem Unglück, ihrer Unsicherheit, aber das ließ Mark nicht an ihr zweifeln. Darin zeigte sich doch nur ihre Menschlichkeit, dass sie genauso verwundbar war wie alle anderen. Allerdings zeigte es ihm auch, dass Vivian hungrig nach Liebe und nach Erfolg war, und Mark ist einfach nicht derjenige, der ihr das verschaffen kann.
Es ist seine Schuld, dass ihr Verhältnis eine persönliche Ebene erreicht hat, darunter müssen ihre berufliche Beziehung und seine Position als Chef ja leiden. Aber diese Geschichte ist etwas völlig anderes, damit ist Vivian zu weit gegangen. Mark weiß, was Victor sagen wird, dass sie sich, selbst wenn das Lemelin-Projekt schon längst verloren ist, nicht darauf verlassen können, dass Vivian so etwas nie wieder machen wird. Selbst Mark ist sich dessen nicht sicher. Es tut ihm leid, dass er diesen Schritt gehen muss, er weiß, sie versucht nur, sich einen Platz in der Welt zu verschaffen, und wünschte, er könnte ihr dabei helfen. »Vivian …«
»Spar dir diesen Ton, Mark.« Ihre Stimme klingt scharf. »Ich bin nicht Julia – du musst nicht mit mir reden, als würde ich im nächsten Moment vom Dach springen. Ich habe die Schnauze voll von deiner Nettigkeit, Mark!«
Das ist der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das kann er sich nicht gefallen lassen. Sein Mitleid verwandelt sich in Zorn, und der richtet sich am meisten gegen ihn selbst. Mark fragt sich, warum ihm das alles erst jetzt auffällt, wie er so blind auf diesem Auge sein konnte, jedenfalls hat er auf solche Spielchen keine Lust mehr. Aus und vorbei. Auch mit seiner Nettigkeit ist Schluss, wenn ihr das lieber ist.
»Vivian …«
»Was?«
»Du bist entlassen.«
Mark
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