Jeans und große Klappe
wenn's regnet, was die vom Fernsehen nie so früh wissen.«
Mein Gesicht muß wohl Bände gesprochen haben, denn als sich Wenzel-Berta am Spätnachmittag verabschiedete, versicherte sie mir tröstend: »Vielleicht fällt mir noch wer ein, und im Dorf tu ich mich auch mal umhören, weil es könnte ja sein, daß da jemand wen kennt.«
Mit diesem etwas nebulösen Versprechen stieg sie in Sepps Auto, nicht ohne vorher sorgfältig das lila Taftene hochgezogen zu haben, damit es beim Sitzen keine Falten bekäme.
Schon am nächsten Abend meldete sie sich am Telefon. Im Hintergrund hörte man Gelächter, Gläserklappern und Stimmengemurmel, untrüglicher Beweis dafür, daß die Heidenberger öffentliche Fernsprechzelle mal wieder kaputt war und Wenzel-Berta aus dem Gasthaus telefonierte.
»Also. ich hab nu mal so rumgefragt«, begann sie mit einer Lautstärke, die garantiert auch den letzten Winkel der Kneipe erreichte, »aber da is nich viel bei rausgekommen, weil wenn hier wirklich jemand wen wußte, denn war das immer zu weit weg. Aber dann habe ich noch mit Frau Kroiher gesprochen, Sie wissen doch, das is die Mutter von der kleinen Rita mit dem Korsett, weil es hätte ja sein können, daß die wen kennt. Kennt sie aber auch nich. Aber dann hat sie mir gesagt, daß Sie es mal in Weinsberg versuchen sollen. Ihr Schwager is doch seit zwei Monaten da zum Entziehen, war ja auch wirklich nötig, weil der hat jeden Tag eine ganze Flasche Korn getrunken und noch Bier dazu und so, und is da gar nich wie in einer richtigen Klapsmühle. Die laufen da alle frei herum und spielen auch nich Napoleon oder so, da sind viele nur da, Frauen auch, weil sie Depres … Depressonen oder so was haben, also die immer bloß alles schwarz sehen. Manche sind noch ziemlich jung und auch ziemlich gesund, aber die bleiben denn da, weil sie nich wissen, wohin, und denn kriegen sie eine neue Depresson. Aber wenn die in eine richtige Familie kommen, wo sie wissen, daß sie da hingehören, dann geht es ganz schnell aufwärts, sagt der Arzt.«
Mir hatte es die Sprache verschlagen. Wenzel-Berta deutete mein Schweigen durchaus richtig, denn sie trompetete sofort wieder los: »Ich meine das ganz ernst, und das ist auch bestimmt nich gefährlich, weil die wirklich Verrückten bleiben sowieso eingesperrt. Ihr Mann soll doch mal mit dem Professor in Weinsberg reden, der sucht dann schon was Passendes raus. Und nu muß ich aber auflegen, weil die ganze Kneipe hört schon zu. Überlegen Sie sich das mal in Ruhe, is vielleicht gar nich so schlecht, und ein gutes Werk tun Sie auch noch.«
Sascha jubelte los, als ich Wenzel-Bertas Vorschlag wiedergab. »Auja, Mami, stell dir bloß mal vor, wir kriegen eine, die als Jungfrau von Orleans herumgeistert und mit gezücktem Brotmesser zum Freiheitskampf antritt.«
Sven hatte auch nichts dagegen. »Hier ist doch sowieso ein Irrenhaus, auf einen mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an.«
Rolf sagte überhaupt nichts. Er runzelte angestrengt die Stirn, streute geistesabwesend Pfeffer auf die Ölsardinen und befahl seinem Ältesten: »In meinem Zimmer muß irgendwo eine Illustrierte liegen. Darin steht ein langer Artikel über Psychiatrische Krankenhäuser, und den solltet ihr erst einmal lesen, bevor ihr solch einen Unsinn faselt.«
Sven, schon die Türklinke in der Hand, blieb stehen. »Du willst doch nicht wirklich jemand aus einer Klapsmühle anheuern?«
»Warum denn nicht? Man kann doch wenigstens mal mit dem Chefarzt reden.«
Einmal gefaßte Entschlüsse pflegt Rolf nach Möglichkeit sofort in die Tat umzusetzen, aber er ließ sich von mir doch überzeugen, daß auch die engagiertesten Ärzte um neun Uhr abends keine Sprechstunde mehr haben. Womit ich, unter Berücksichtigung der Vergeßlichkeit meines Gatten, das Thema für beendet hielt. Wenn ich auch in Umgang mit halbwüchsigen Knaben, deren geistige Verfassung man keineswegs immer als normal bezeichnen kann, einigermaßen geschult war, so traute ich mir die Behandlung von psychisch angeknacksten Mitmenschen doch nicht so ohne weiteres zu, obwohl man mit ihnen möglicherweise leichter fertigwerden würde als mit Teenagern.
Leider stolperte Rolf am nächsten Morgen über seine ungeputzten Schuhe, was ihn automatisch an die fehlende Putzfrau und damit auch an Wenzel-Berta erinnerte. Er stürzte zum Schreibtisch, suchte das Telefonbuch, fand es nicht, weil Sascha es am Abend zuvor als Ersatz für den abgebrochenen Fuß des Dielenschränkchens
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