Jede Nacht mit Charlie
da?“ polterte eine ihm unbekannte Stimme.
„Äh, Charlie Tenniel.“ Er schoss einen gequälten Blick zur Digitalanzeige. Fünfzehn Sekunden bis zum Ende des laufenden Songs.
„Was zur Hölle geht da bei euch vor? Wo steckt Bill? Was senden Sie für einen Schund?“
In seiner Jugend hatte Charlie eine Menge überhebliche, imagebedachte Politiker kennen – und verachten – gelernt. Whitcomb passte perfekt in diese Kategorie. „Wir sprachen über das Rathaus, Sir.“
„Hören Sie sofort auf damit! Kommunalpolitik ist nicht Ihre verdammte Angelegenheit!“
Zurückhaltung, Kumpel! ermahnte er sich. Bloß keine Wellen schlagen! „Es ist die Angelegenheit der Steuerzahler, die müssen es nämlich bezahlen.“
„Die verdammten Steuerzahler können mir gestohlen bleiben! Sie halten sich geschlossen, was dieses Gebäude angeht, oder ich setze Sie an die Luft! Unterschätzen Sie mich nicht!“
Fünf Sekunden. Charlie wusste, er würde es bedauern, doch mit seiner Brüllerei hatte Whitcomb sich auch die letzten Sympathien bei ihm verscherzt. „Wir gehen jetzt wieder live auf Sendung, Bürgermeister. Wollen Sie Ihr vernichtendes Urteil über die Steuerzahler nochmals überdenken? Schließlich sind die meisten auch Wähler.“
„Ich pfeif’ auf Ihre guten Ratschläge …“
„… und hier sind wir wieder, Tuttle“, sprach Charlie ins Mikrofon. „Wir haben einen echten Leckerbissen für euch: Bürgermeister Rollie Whitcomb. Wollten Sie nicht gerade Ihre Meinung über die Steuerzahler näher erläutern?“
Durch die Scheibe sah er, wie Allie resigniert den Kopf aufs Regiepult sinken ließ. Was soll’s. Mal gewinnt man, mal verliert man. Ein bezeichnendes Beispiel bot Whitcomb, der sich mit seiner Verbalakrobatik immer mehr in die Nesseln setzte. Öffentliche Reden waren offenbar nicht seine Stärke. Seine Sätze besaßen keine Verben. Durchaus üblich für einen Politiker. Leere Worthülsen statt volle Aktion.
Whitcomb ließ nach, begraben unter seinen abgebrochenen Sätzen. „Wenn ich recht verstehe, hat das neue Gebäude weniger Platz als das alte, Bürgermeister“, sprang Charlie hilfreich ein.
Das brachte Rollie erneut in Rage. Zusammenhanglos dozierte er über Heizkostenrechnungen, übergroße Fenster, all den Marmor und die Treppen. Er schien selbst nicht genau zu wissen, wieso die letzten drei ein Problem darstellten, er wusste nur, dass es entscheidende Faktoren waren.
„Wollen Sie noch etwas über Ihren Bruder, den Bauunternehmer, hinzufügen?“ hakte Charlie nach.
„Ehrenwerter Geschäftsmann. Vorsitzender der Handwerkskammer. Stolz der Familie.“ Whitcomb faselte weiter unsinniges Zeug, während Charlie auf ein Verb wartete.
„Hat er den Vertrag für das Rathaus in der Tasche?“
„Selbstverständlich nicht. Ich weiß nicht. Ich vergebe keine Aufträge. Das Baukomitee. Parteitreue Bürger. Stützen der Gesellschaft.“
Charlie gab auf. „Danke für den Anruf, Herr Bürgermeister. Ich bin sicher, Ihre Wähler sind nun beruhigt.“ Er legte eine Kassette ein und schob den Regler hoch. Unglücklicherweise ertönte ausgerechnet Paul Simons „Still Crazy After All This Years.“
Nebenan rang Allie um Fassung. Einen tollen Schlamassel hatte sie da angerichtet! Es blieb abzuwarten, mit wem sie es sich am meisten verscherzt hatte – mit dem Bürgermeister, mit Bill oder mit Charlie. Dabei hatte sie geglaubt, ein Gespräch mit dem Stadtoberhaupt würde Charlies Glaubwürdigkeit steigern und der Sendung Auftrieb geben. Eine interessante Diskussion. Ernsthaftes Talk-Radio. Vielleicht eine wohlwollende Erwähnung in der morgigen
Tribune
, da Whitcomb die Zeitung gehörte.
Und dann entpuppte sich ihr neuer DJ als Krawallschläger. Nach dem Bruder des Bürgermeisters zu fragen . ts, ts, ts!
„Sind Sie noch dran, Tenniel?“
Allie rückte ihre Kopfhörer zurecht. „Äh, nein, ist er nicht, Bürgermeister Whitcomb. Hier ist Alice McGuffey, die Pro.“
„Auch gut. Sie sind ebenfalls gefeuert.“
Dann hörte sie nur noch das Freizeichen.
Elf Anrufer später kappte Allie auf Charlies Bitte hin die Telefonleitungen. Es war kurz vor eins. Das Echo war durchweg positiv. Neben vehementer Unterstützung des Rathauses kamen mehrere Höreranfragen, ob Whitcomb volltrunken gewesen sei. Es gab auch einige unpolitische Anrufe: Ein Mann wollte wissen, was Charlie zu der Lady in der Bar gesagt habe, und vier Anruferinnen boten ihm an, ihm die Stadt zu zeigen und sich von ihm beleidigen zu lassen,
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