Jede Sekunde zählt (German Edition)
Dr. Nichols, »als ob der Tod eine Option wäre«.
»Die Behandlung ist sehr belastend«, sagte Dr. Nichols. »Und es gibt einige Risiken.«
» Wie zum Beispiel?«
»Nun, etwas so Simples wie eine Infektion könnte lebensbedrohlich werden.«
»Sie können mich nicht umbringen«, gab ich zurück.
»Ich versichere Ihnen, ich kann es.«
Auf gewisse Weise waren der Kampf gegen den Krebs und der Kampf um den Sieg bei einem Radrennen viel einfachere und viel konkretere Konfrontationen als die, die ich in den folgenden Monaten durchstehen musste. Wie kämpft man gegen einen unsichtbaren Gegner? Gegen Misstrauen? Man kann es nicht. Aber diese Art Einsicht fällt uns allen nicht leicht, und manchmal fällt es einem schwerer als alles andere auf der Welt, einfach nichts zu tun.
Wie kann man lernen, mit Zweifeln an der eigenen Integrität umzugehen und, wichtiger noch, mit Selbstzweifel? Und wie lernt man zu verlieren?
Das Problem ist, dass man mehr verlieren als gewinnen wird, egal, wer man ist. Wenn wir etwas verlieren – oder gewinnen –, reagieren die meisten von uns überzogen. Ich bin da keine Ausnahme. Mich verbindet eine Art Hassliebe mit dem Verlieren. Ich verfalle ins Brüten und werde streitsüchtig. Tatsache ist aber auch, ein Zusammenbruch ist in sich eine unvermeidliche Lektion und kann, wenn man es genau betrachtet, eine überaus wertvolle Erfahrung sein.
Wenn man sich seinen Lebensunterhalt mit dem Radfahren verdient, macht man viele Erfahrungen, und nach einer Weile erkennt man, dass ein Radrennen eigentlich kein Radrennen ist, sondern ein Ausdruck menschlichen Verhaltens, eines Verhaltens, das mutig sein kann oder hinterlistig, spaßig, forschend, stimulierend oder schlicht parasitär. Manches von dem, was man sieht, mag man, anderes weniger, und alles ist sehr aufregend und bemerkenswert. Aber es ist nicht der Krieg und nicht der Tod undgenauso wenig das Leben, und wenn man verliert, dann rückt das die Dinge wieder einmal in die richtige Perspektive.
Eben daran wurde ich im August 2000 einmal mehr erinnert. In Italien haben die Katzen nicht wie bei uns neun, sondern zwölf oder dreizehn Leben. Ich muss wohl eine italienische Katze sein, denn in diesem August hatte ich den zweiten lebensgefährlichen Unfall in diesem Jahr.
Ich trainierte an diesem Tag mit meinen Postal-Team-Kameraden Frankie Andreu und Tyler Hamilton oben in den Bergen über Nizza, nur eine Ausfahrt, um unsere Beine nach der Tour wieder ein bisschen zu bewegen und mit den Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele in Sydney zu beginnen.
Hinter Nizza schlängelt sich eine einspurige Straße die Berge hinauf. Wir folgten dieser Straße, bis sie irgendwann so schmal wurde, dass es keine Mittellinie mehr gab. Die Straße führte durch eine verlassene Gegend, und ebendeshalb hatten wir sie ausgewählt. Man konnte stundenlang auf ihr fahren, ohne einem Auto zu begegnen. Dass ich an diesem Tag frontal mit einem zusammenstieß, war pures Pech.
Wir fuhren in eine nicht einsehbare Linkskurve, ich vorneweg. Zum gleichen Zeitpunkt fuhr von der anderen Seite her ein französisches Pärchen mit seinem Auto in die Kurve – und in der Mitte der Kurve rasten wir frontal ineinander. Tyler hinter mir wich in den Graben aus, Frankie gelang es, an dem Auto vorbeizufahren.
Ein ohrenbetäubender Schlag, Metall auf Metall, und mein Fahrrad löste sich in seine Bestandteile auf, während ich über die Motorhaube des Autos in hohem Bogen durch die Luft segelte.
Frankie sah fassungslos zu, wie das, was einmal mein Rad gewesen war, über den Asphalt schlitterte, ein Haufen zerbrochener und verdrehter Metallrohre, zwei davon mit Trek-Aufklebern.
Ich lag auf dem Boden, völlig benommen. Vorsichtig setzte ich mich auf und starrte die Trümmer meines Fahrrads an. Der Rahmen war in drei Teile zerbrochen, die Gabel in zwei. Das Hinterradwar aus dem Hinterbau gerissen und die Kette in zwei Teile getrennt worden.
Ich fragte mich, ob meine Arme und Beine genauso aussahen, und ging im Geist meine Körperteile durch. Am schlimmsten waren die Schmerzen im Nacken und im Schulterbereich. Auf dem Boden neben mir sah ich meinen Helm liegen. Er war, wie eine Walnuss, in zwei Teile zersprungen.
Ich bewegte mich ein bisschen, und sofort stach mir ein brutaler Schmerz in den Rücken. Es fühlte sich an, als wäre ein Knochen gerade dabei, die Haut zu durchstoßen.
»Frankie, schau dir mal meinen Rücken an«, sagte ich. »Steht da irgendetwas heraus?«
»Nein, da
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