Jede Sekunde zählt (German Edition)
die tagsüber am Computer arbeiteten und abends um den Lake Austin joggten oder mit ihren Kumpels Basketball spielten, und als Bart David das letzte Mal gesehen hatte, war er ein vor Gesundheit strotzender,durchtrainierter und unbekümmerter junger Mann gewesen, ein Mann, der sich seiner selbst und seiner Zukunft so sicher gewesen war, dass er eben den ersten Schritt zu einer eigenen Familie gewagt hatte.
Nun stand Bart neben Davids Bett, und was er sah, erschreckte ihn zutiefst. In den 24 Stunden, seit David in der Notaufnahme erschienen war, hatten sich überall auf seinem Körper kleine blaue Flecken gebildet, äußere Anzeichen der aufgrund der fehlenden Thrombozyten geplatzten und nach innen blutenden Kapillargefäße. Dazu kam, dass sich auch in seiner Lunge Gewebsflüssigkeit angesammelt hatte und sein Atem deshalb schwer und flach ging.
Nachdem David stabilisiert worden war, wurde er einer Chemotherapie unterzogen, die nur in speziellen Krebszentren durchgeführt wurde. Am 1. August 2002 – drei Tage nach der ersten Diagnose – lernte David die Toxine und Qualen der Chemo kennen. Wenn er den Kampf aufnahm, so die Ärzte, hatte er eine reelle Chance.
Ich sprach jeden Tag mit Bart und schickte David regelmäßig Postkarten ins Krankenhaus. »Ich glaube an dich«, schrieb ich. »Ich weiß, dass das, was du durchmachst, noch schlimmer ist als das, was ich durchgemacht habe. Ich sehe, wie schwer es für deinen Bruder ist. Aber ich weiß auch, dass du stark bist und dass er stark ist. Ich habe Krebs gehabt, und ich weiß, dass du es schaffen kannst.«
Bis November hielt sich David gut, dann ging es mit seiner Gesundheit rapide bergab. Die Krankheit hatte seine Nerven angegriffen, und nun konnte er – mit Ausnahme eines Daumens – seine Hände und Füße nicht mehr bewegen. Einen Daumen, mehr nicht. Die Ärzte fingen an, eine Knochenmarktransplantation in Erwägung zu ziehen, und testeten auf der Suche nach potenziellen Spendern seine Verwandten auf ihre Eignung.
Davids Frau Rhiannon schlief die meisten Nächte während ihrer Schwangerschaft auf einem Feldbett in seinem Zimmer imM.D. Anderson. Eines Abends setzten die Wehen ein, während David schlief. Anstatt ihn zu wecken, eilte sie mit ihrer Mutter ins Texas Women’s Hospital. Später, während sie im Kreißsaal lag und gegen die Kontraktionen ankämpfte, rief sie David an, der beruhigend auf sie einsprach. David blieb am Telefon und hörte mit an, wie sein erstes Kind auf die Welt kam. Isabella Knaggs wurde am 24. November 2002 geboren.
An Weihnachten fanden die Ärzte den perfekten Knochenmarkspender für David: Bart.
Am Tag nach Weihnachten ging mein 36 Jahre alter bester Freund nach Houston, um sich Knochenmark entnehmen zu lassen, das seinem Bruder transplantiert werden sollte. Nachdem sich die Ärzte mit einer Reihe von EKGs und MRIs (Kernspintomographien) vergewissert hatten, dass Bart bei bester Gesundheit war, verabreichten sie ihm Neupogen, ein die Blutbildung stimulierendes Medikament, das auch ich während meiner Chemotherapie erhalten hatte. Darüber hinaus gaben sie ihm mehrere Injektionen, die die Produktion seiner Knochenmarksstammzellen anregten. Zweimal täglich fünf Tage lang musste Bart sich mit einer Subkutannadel Medikamente in den Bauch spritzen lassen.
Die Injektionen und Medikamente lösten bei Bart heftige Knochenschmerzen aus, und er beklagte sich über die schrecklichen, dumpfen und nie nachlassenden Schmerzen. Ich wusste ganz genau, wovon er sprach: Bei uns heißen diese Schmerzen »Knochenflammen«, und Patienten auf Chemo können ein Lied davon singen. In der einen Minute liegst du im Bett und fühlst dich okay, und in der nächsten lodert ein tiefer Schmerz durch dein Knochenmark, tief unter den Muskeln, dort, wo, wie es scheint, kein Schmerzmittel jemals hinreicht.
Um ihm die Sache zu erleichtern, zog ich Bart auf, aber es tat mir weh, erkennen zu müssen, dass mein bester Freund meine Krebserfahrung nun voll und ganz nachvollziehen konnte. »Halloooh!«, sagte ich, »willkommen in der Bruderschaft der Knochenschmerzen.«
An Silvester steckten sie Bart eine Infusionsnadel in den linken und eine in den rechten Arm, und während sie ihm links Blut abzapften und es durch eine Zentrifuge schickten, pumpten sie es ihm rechts wieder in den Körper zurück. In der Zentrifuge separierten sie das Blutplasma. Man mochte kaum glauben, dass das, diese gelbliche Flüssigkeit, die sich da in einem kleinen Tropfbeutel ansammelte,
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