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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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wurde.
    Zum Abschied überreichte sie mir ein Geschenk. Sie hatte mir Clogs mitgebracht, echte holländische Clogs aus Holz für die gesamte Familie Armstrong, fünf Paar, darunter drei winzig kleine für die Kinder. Ich bewahre die Clogs als Erinnerungsstücke auf; die junge Holländerin hat den Krebs leider nicht überlebt.
    Am nächsten Tag trug mich Le Train Bleu nach Paris. Laut offizieller Zeitmessung überquerte ich die Ziellinie nach 82 Stunden, fünf Minuten und zwölf Sekunden und mit einem Vorsprung von 7:17 Minuten vor dem Zweiten. Ich war unendlich stolz. Wir hatten uns nicht den kleinsten taktischen Fehler geleistet. Nicht einen einzigen. Wir waren im Verlauf des Rennens immer stärker geworden, immer sicherer und geduldiger. Die schiere Schönheit der Leistung des Teams erfüllte mich mit einem Gefühl des Schöpferischen, das ich bei keinem der vorangegangenen drei Tour-Siege empfunden hatte.
    Das schien nicht nur uns so zu gehen. Zum ersten Mal bereitete uns die Presse in Paris einen freundlichen Empfang. Le Parisien erwies in seiner Schlagzeile sowohl Jalabert als auch mir die Ehre: MERCI JAJA... BRAVO ARMSTRONG. Ein Kompliment, für das ich dankbar war. Ein französischer Weinhändler wurde mit den Worten zitiert: »Der Wert eines Menschen liegt in seinem Geist, nicht in seinem Land.« Und plötzlich hatten die Franzosen auch einen Spitznamen für mich: der Boss.
    Im Ziel sprach ich mit der lokalen Presse auf Französisch. »Ich liebe Frankreich«, sagte ich. Vielleicht verstanden die Leute jetzt endlich, was ich die ganze Zeit über, ob nun auf Englisch oder Französisch, auszudrücken versucht hatte. Wir Postal-Fahrer warenkeine Roboter oder kaltherzige amerikanische Händler, die nur aufs Geschäft blickten. Vielmehr befanden wir uns auf der Suche nach der perfekten Fahrweise, der besten Technik, und das hat nichts mit Kaltherzigkeit zu tun, sondern mit Liebe. »Das hier ist nicht Theater, es ist Sport«, verkündete ich. »Ich glaube an Leistung, und ich glaube an die Schönheit des Rennens.«
    Vor allem aber glaubte ich an meine Teamkollegen – und das wollte ich ihnen auch zeigen. Jedes Jahr richtete der U.S. Postal Service eine grandiose Siegesfeier für mehrere hundert Gäste im Musée d’Orsay aus, dem imposanten alten Bahnhof, der in ein Museum für französische Malerei umgebaut worden war. Wie jedes Jahr würde die Feier auch dieses Mal luxuriös und bombastisch ausfallen – und die Mitglieder des Teams mussten an verschiedenen Tischen sitzen. Ich wollte etwas Persönlicheres, eine Siegesfeier im kleinen Kreis, nur wir neun. Wochenlang hatten sie geschuftet, sich mit entzündeten Sehnen, Schürfwunden und Schmerzen geplagt und in engen, kleinen Hotels geschlafen. An diesem Abend wollte ich, dass sie sich wie Rockstars fühlten, weil sie für mich genau das waren. Ich wollte, dass sich jeder Einzelne von ihnen wie ein Sieger fühlte.
    Kik half mir, den kleinen privaten Festsaal im Hôtel de Crîllon zu schmücken. Seit das Hotelmanagement bei meinem ersten Tour- Sieg (und seitdem jedes Jahr wieder) eine texanische Flagge an den Champs-Élysées hatte aufziehen lassen, verbringe ich nach jeder Tour die letzte Nacht in Paris im Crîllon (und werde dem Hotel auch für den Rest meines Lebens die Treue halten). Fünf S-Klasse-Mercedes holten die Jungs ab und brachten sie zum Hotel. Die anderen Teams wurden mit Bussen zu ihren Partys gekarrt, unsere Jungs dagegen wurden von Mercedes-Limousinen abgeholt.
    Im Crîllon wurden sie zusammen mit ihren Familien in den privaten Empfangssaal geführt, wo bereits ein Bankett aufgebaut war. Wir begrüßten uns, und ich reichte jedem meiner Teamkollegen einen Umschlag, den sie einsteckten, um ihn später zu öffnen.
    Wir saßen mit unseren Familien an dem großen Tisch, bedientenuns am Büfett, stießen an, erzählten Geschichten und hauten überhaupt kräftig auf den Putz. Wir versuchten gerade unter viel Gelächter, die Songs von ZZ Top zu übersetzen, als die Tür aufging und Kik wie eine Modediva in schwarzen Slacks, einer weißen Bluse und mit einer Perlenkette um den Hals durch den Saal stolzierte. Im nächsten Moment stimmten alle Jungs unisono »She wore a PEARL NECKLACE« von ZZ Top an.
    Später trennten wir uns und machten uns auf den Weg, um noch durch einige der angesagten Clubs von Paris zu ziehen. Als die Jungs wieder in ihren Limousinen saßen, öffneten einige von ihnen ihre Umschläge. Da es Tradition – und nur gerecht – ist, dass

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