Jeden Tag, Jede Stunde
der fragt. Mit seiner sanften, tiefen Stimme, die Dora an warmen, noch flüssigen Karamell denken lässt. Der an den Zähnen unangenehm kleben bleibt. Wenn seine Augen grün wären …
»Uns«, antwortet Dora keck und hebt den Blick. Marcs Augen schmunzeln. Schwarz. Das ist gut. Grün könnte sie nicht ertragen. In Helenas Augen, die auch schwarz sind, genauso wie Doras, zeichnet sich ein Fragezeichen ab.
»Dann können wir die zwei ›uns‹ zusammen feiern, ja?!«
»Vielleicht.«
»Ach, komm, draga! Tu uns den Gefallen!«
»Wir werden sehen …«
»Ruf gleich André an, sag ihm schlicht und ergreifend, wir treffen uns im Restaurant Chez moi, das ist das Beste vom Besten.«
»Ziemlich neu.«
Dora sieht die beiden an. Sie weiß nicht, was sie tun soll.
»Wollen wir Papa auch einladen?«
»Das schmeckt wundervoll!«
Alle Münder sind voll, und alle Köpfe nicken begeistert.
Luka sitzt zwischen Klara und Ana. Von Zeit zu Zeit spürt er Klaras Hand auf seinem Knie. Aber es ist eine brave Hand, sie benimmt sich äußerst anständig und wandert nicht.
»Wann wollt ihr beide heiraten?«
Es ist eine Frage, die Ana einfach so, mir nichts, dir nichts, zwischen der nach Sonne schmeckenden Tomatensuppe und dem nach Knoblauch duftenden Fischragout in den Raum schleudert, wie zufällig und doch genau geplant. Ein paar unangenehme Geräusche, ein Räuspern und ein Hüsteln, sind zu hören und danach nichts.
Luka ist von einem nicht definierbaren Gefühl überwältigt, das ihn denken lässt, für einen Moment taub und stumm geworden zu sein. Nur seine Augen irren herum wie zwei Kanarienvögel in einem zu kleinem Käfig. Atmen, er muss einfach nur atmen, und wenn er die Augen offen lässt und nicht zählt und immer weiter atmet …
»Nur ein Witz, großer Bruder! Reingefallen!«
Ana lacht laut auf, aber keiner stimmt ein. Alle sind ein wenig verlegen und fast beschämt.
»Du bist so kindisch.« Toni sieht Ana gar nicht an, er schüttelt nur den Kopf. Und Luka sieht sich im Restaurant um, das, obwohl neu, immer noch ein ganz gewöhnliches sozialistisches Restaurant ist, in dem, auch wenn das Essen gut ist, Kellner keine Lust haben zu arbeiten und jeden Gast mehr oder weniger offensichtlich hassen. Titos Tod hat nichts geändert. Oder noch nicht. Vielleicht ist es auch besser so. Kokoschkas Tod hat auch nichts verändert. Und auch wenn Luka nicht alle seine Bilder mag, die Größe kann er erkennen und würdigen.
»Was ist, versteht ihr keinen Spaß?«
»Es gibt Späße und Späße.« Zoran wirft seiner Tochter einen ernsthaften Blick zu.
»Klara, sag du doch etwas, du hast den Spaß verstanden, oder?«
Klara sagt nichts. Ihr Kopf berührt fast den Teller mit dem Fisch, obwohl ihr Rücken ganz gerade ist, wie er bei einer richtigen Tänzerin auch sein sollte. Luka gefällt das alles nicht. Es hätte nicht sein müssen. Er merkt, wie er sich zusammenzieht, wie er sich in Luft auflöst. Als stünde er neben sich, sich selbst beobachtend.
»Ich bin schwanger.«
Und Luka unternimmt einen langen Spaziergang. Der nicht lang genug sein kann. Das unangenehme Gefühl, keine Entscheidung, geschweige denn die richtige treffen zu können. Denn Luka ist abwesend. So gut wie tot.
8
Es ist Doras Abend. Es sind ihre Blumen, die den Raum fast zum Bersten bringen. Es sind ihre Freunde, die das Glas auf sie erheben. Es könnte der Himmel sein. Oder noch etwas Besseres. Und morgen Nachmittag hat sie die erste Probe als professionelle Schauspielerin. Ihr erstes Engagement. Cordelia. Sie denkt immer noch, sie träume. Cordelia, ihre erste Rolle. Sie ist so glücklich, sie könnte wieder weinen. Die Welt dreht sich doch um sie, so wie sie sich das immer vorgestellt hat. Man schreibt das Jahr 1984.
André ist neben ihr. André ist immer in ihrer Nähe, schon seit vier Jahren, und heute ist sein Gesicht rot vor Aufregung. Immer wieder gibt er ihr einen Kuss, und sie lächelt, nimmt ihn aber nicht ganz wahr, denn heute ist ihr Abend, heute hat sie ihren Abschluss geschaffen, ja genau, kreiert, aus nichts neu erfunden, und alle haben stumm dagesessen und ungläubig vor sich hin gestarrt, bis das erste Mitglied der Prüfungskommission aufgestanden ist und angefangen hat, ihr zu applaudieren. Bravorufe hat sie auch gehört, sie hat sich umarmen lassen, Leute haben auf sie eingeredet, aber sie war nicht da, sie war immer noch Antigone und hat am ganzen Leib gezittert. Dann hat Jeanne sie in einen leichten Pullover eingewickelt und sie an
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