Jeden Tag, Jede Stunde
Uhr abends zu Hause ist und dass ihre Mutter nicht in einem teuren Restaurant zu Mittag isst mit einem vielversprechenden jungen Autor, den sie unbedingt in ihrem kleinen Verlag veröffentlichen möchte.
»Wer ist gestorben?«
Dora bleibt an der Tür stehen. Ihr Vater sieht ihre Mutter an, die seinen Blick offensichtlich nicht erwidern will. Aber sie lächelt ihrer Tochter verlegen zu, wie ein Kind, das etwas Schlimmes angerichtet hat und es ganz genau weiß, aber dennoch hofft, dass keiner es merken oder ihm böse sein wird.
»Wir lassen uns scheiden. Schlicht und ergreifend.«
Und Luka schläft mit Klara. Er liebt sie leidenschaftlich und lustvoll, während in seinem Kopf Bilder entstehen. Er küsst ihren Mund und sehnt sich nach einem Pinsel. Er streichelt über ihren glatten Körper wie über eine Leinwand, die er rasch mit den Fingern bemalt.
»Deine Mutter hat sich verliebt.«
Die Stimme ihres Vaters ist spöttisch und verletzt und ungläubig und quenglig und leicht verärgert. Ununterbrochen nimmt er seine Brille ab, putzt sie, setzt sie wieder auf, nimmt sie ab, putzt sie, setzt sie wieder auf. So oft, dass Dora schwindlig wird. Sie wendet ihren Blick von ihm ab und sieht ihre Mutter an, die ganz gerade im Sessel sitzt und vor sich hin starrt, als würde sie ein faszinierendes Bild betrachten.
»Wir lassen uns scheiden. Schlicht und ergreifend.«
»Das hättest du wohl gern!«
»Ich will keinen Tag mehr mit dir verbringen. Geschweige denn eine Nacht.«
»Ach, ja! Was du nicht sagst!«
»Es ist vorbei, Ivan.«
»Das akzeptiere ich nicht.«
»Da gib es nichts zu akzeptieren. Es ist so.«
»Sagt wer?«
»Sage ich.«
»Seit wann kannst du alleine über solche Sachen entscheiden?«
»Seit ich dich nicht mehr liebe.«
Dora verlässt den Raum. Das ist ja wie in einem schlechten Film, denkt sie, das wird schon wieder. Sie macht die Tür ihres Zimmers hinter sich zu und hört nichts mehr. Es herrscht eine unnatürliche Stille. Als wäre sie das letzte Lebewesen nach dem Weltuntergang. Sie legt sich aufs Bett und macht Musik an. Jazz. Ein Saxofon und ein Piano. Das ist alles, was sie braucht. Obwohl ihre Mutter meint, sie sei noch zu jung für Jazz, achtzehn, das gehe nicht, schlicht und ergreifend. Aber das sei natürlich typisch Dora, immer müsse sie anders sein, und manchmal sei es für eine Mutter schlicht und ergreifend unerträglich, mit so einer Tochter klarkommen zu müssen. Die leisen, tiefen Töne rieseln in ihren Ohren wie Abendbrandung. Liebe, Eifersucht und Tod. In ihrer Brust wird es eng.
»Morgen kommt Ana zu Besuch.« Lukas Stimme ist leicht aufgeregt. Klara sieht ihn an und lächelt abwesend, aber zufrieden, als wäre sie noch im soeben vergangenen Moment gefangen.
»Und? Wie gefällt dir meine neue Wohnung?«
»Ich kann nicht glauben, dass du schon eine eigene Wohnung hast! Es ist erst einen Tag her, Mama!«
»Ich habe sie schon vor Monaten gemietet, ich musste schlicht und ergreifend alles vorbereiten, die Trennung, meine ich.«
»Ich will nichts davon hören!«
Und dennoch sieht Dora sich um in der neuen Wohnung ihrer Mutter. Die Wohnung ist klein, winzig sogar im Vergleich mit der Wohnung, in der sie noch bis vorgestern eine Familie gewesen sind. Und sie ist hell und warm und angenehm, und Dora will gar nicht mehr weggehen.
»Ich will auch eine eigene Wohnung haben.«
Ihre Mutter nimmt sie an die Hand und führt sie in den kleinen Salon. Sie setzen sich nebeneinander auf das Sofa.
»Bist du wütend auf mich?« Leise, ganz leise fragt sie das, als hätte sie Angst vor der Antwort.
Dora dreht sich zu ihrer Mutter und sieht ihr in die feuchten Augen. Sie lächelt. Sie legt den Kopf auf ihre Schulter, als wäre sie immer noch ein kleines Mädchen, das sehr müde ist, aber trotzdem nicht ins Bett gehen will.
»Ich liebe ihn wirklich.«
Dora nickt verständnisvoll, ihre Mutter jedoch redet weiter.
»Und er liebt mich.«
Dora glaubt ihr. Ihre Mutter ist schön und witzig und fürsorglich. Und sie hat einen Blick, der einen für jeden Atemzug dankbar macht.
»Er liebt mich wirklich.«
Es klingelt an der Tür.
»Langsam, nicht so stürmisch!«
Aber Luka lacht und hält Ana ganz fest, sodass Ana ihn nicht ernst nimmt. Sie hängt an seinem Hals und küsst ihn ab. Hinter ihr steht Toni, ihr Freund, und lächelt verlegen. Hinter Toni steht Zoran und freut sich. Am Fenster steht Klara und beobachtet sie alle sehr aufmerksam. Als gehöre sie nicht dazu. Tut
Weitere Kostenlose Bücher