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Jeden Tag, Jede Stunde

Jeden Tag, Jede Stunde

Titel: Jeden Tag, Jede Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natasa Dragnic
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alles sieht anders aus. Möglich. Aussichtsvoll. Als könnte er bald wieder mit seinen Freunden sorglos spielen gehen. Sandburgen, die keine sind.
    »Das ist ein Verbrechen! Du bist doch ein Maler. Ein Künstler.« Sie könnte weinen, so unermesslich traurig findet sie das. Sich selbst aufgeben, und was dann?! Was bleibt dann noch übrig?
    »Ich weiß. Es spielt aber keine Rolle. Ich habe jetzt eine Familie zu ernähren.«
    »Das ist … das ist …« Es gibt Zustände, die sich nicht in Worte fassen lassen.
    Dora steht auf und läuft auf dem Felsen herum. Luka beobachtet sie beunruhigt. Ihr Blick haftet am steinigen Boden, als würde sie nach toten Krabben suchen.
    »Das kannst du nicht machen, du musst malen, du musst unbedingt malen. Bitte!« Sie bleibt vor ihm stehen.
    »Nicht weinen, bitte, nicht weinen.«
    »Ich weine nicht.«
    »Doch, deine Augen sind ganz rot und feucht, sie glitzern.«
    »Du weißt, dass ich nie weine!«
    Dora ist wütend, sie wird immer lauter und aufgelöster, und Luka muss auch aufstehen und sie umarmen und zärtlich in ihre aufgebrachten Haare flüstern, sie beschwichtigen.
    »Ich werde wieder malen.«
    »Versprochen?«
    »Versprochen.«
    »Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen.«
    »Genau.« Er lacht laut auf und hebt ihr Gesicht, sodass er ihr in die Augen sehen kann. »Jetzt, wo du hier bist.« »Du sollst nach Hause gehen. Du sollst ins Krankenhaus gehen und deine Tochter sehen.« Und schon werden ihre Augen erneut rot und feucht, und ihre Stimme wird unsicher, und wieder muss Luka sie festhalten.
    »Du musst deine Tochter sehen.«
    »Das werde ich auch machen.«
    »Deine Tochter.«
    »Dora.«
    »Es ist schwer sich vorzustellen, dass deine Tochter nicht auch meine Tochter ist.«
    Man hört Mittagsglocken läuten. So feierlich. Als würden sie etwas Wichtiges verkünden.

23
    Luka kommt nach Hause. In einer Stunde muss er wieder im Hotel sein, diesmal, um zu arbeiten. Aber Dora wird da sein. Also von wegen Arbeit! Das Leben ist besser als Frühstück im Freien, eine Mischung aus Die rote Boje und Luxus, Ruhe, Sinnlichkeit . Der bloße Gedanke, wieder zu malen, erfüllt seinen Kopf mit Bildern.
    Zoran schläft im Wohnzimmer auf dem Sofa. Luka stellt fest, dass er seit über dreißig Stunden nicht geschlafen hat. Vielleicht fühlt er sich deshalb wie betrunken. Oder weil Dora da ist. Oder weil er eine Tochter bekommen hat. Oder aber weil sein Leben kopfsteht und alles umzukippen und ins Meer zu stürzen droht. Unaufhaltsam. Er geht unter die Dusche. Heiße Wassertropfen sind wie Balsam auf seiner Haut. Er schließt die Augen, und es wird ihm schwindlig vor lauter Gedanken und Gefühlen. Nach zwanzig Minuten wird das Wasser allmählich kalt, er stellt es aus und trocknet sich ab. Die Haare lässt er feucht und ungekämmt. Er zieht sich an und verlässt leise das Haus. Denn Zoran schläft noch. Er ist auch nicht mehr der Jüngste, denkt Luka, und der Gedanke schmerzt ihn.
    Es ist weit bis zum Krankenhaus. Zu Fuß fünfzehn Minuten. Er geht schnell. Er hat nicht viel Zeit. Um zwei muss er im Hotel sein. Er bemüht sich, nicht an Klara zu denken, an das, was er ihr sagen wird. Daran, was sie ihm sagen wird. Was sie von ihm erwarten wird. Das überwältigt ihn, und er bleibt mitten auf dem Kačić-Platz stehen, will weglaufen, zwingt sich aber zum Weitergehen. Im Krankenhaus ist es angenehm kühl. Unerwartet entschlossen marschiert er zu dem Zimmer, in dem er in der vergangenen Nacht erfahren hat, dass er Vater geworden ist. Er klopft nicht, er tritt ein, als wäre er bei sich zu Hause.
    Und da ist sie. Klara. Sie schläft, und Luka ist ihr dafür dankbar. Neben ihrem Bett steht ein zweites Bett, es ist klein, eher ein Glaskasten, und da drinnen rührt sich etwas. Luka sieht unvorstellbar dünne Arme, kleine Hände und Füße, und alles bewegt sich ziellos zuckend. Er schleicht sich näher heran, will auf keinen Fall Klara wecken.
    Und da ist sie. Seine Tochter. Er betrachtet sie. Er will alles auf einmal sehen, obwohl eigentlich gar nichts zu sehen ist. Er untersucht ihr Gesicht. Alles rund und weich und ausdruckslos. Der Mund bewegt sich, und die Augenlider flattern, und das war es schon. Da ist dieses Wesen, das sein Leben durcheinandergebracht hat. Ihm das Malen und Dora weggenommen hat. Er kann es jedoch nicht hassen. Aber lieben auch nicht. Er betrachtet es und stellt sich vor, es wäre Doras und seine Tochter. Er stellt sich vor, er hätte sie gewollt und sich auf sie

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