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Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)

Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)

Titel: Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konstantin Wecker
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zerfällt.
    Wir ordnens wieder und zerfallen selbst

     
    Rainer Maria Rilke
    Achte Duineser Elegie
    Die erste Elegie
     
    Anstatt sie zu betreten,
    treten wir die Welt.
    Wie eine Silbe doch entscheidend scheiden kann!
    Wie erst ein Wort!
     
    Als wir noch schliefen,
    warn die Wörter schon gemacht,
    und alles, was wir heute niedrig sehen,
    war immer groß genug,
    uns aufzunehmen ins Geschehen.
     
    Wie sich die Luft noch niemals wünschte,
    Mensch zu sein,
    sieht alles, was sich selbstlos gibt
    sanft lächelnd auf uns nieder.
     
    Ach würden wir an solcher Größe uns gestalten,
    die es ertragen kann,
    von uns geschändet und zerstört zu werden.
     
    Uns
birst die Lunge,
    wir
vergehn vor Schmerz und Wut,
    wenn wir die letzten Bäume fällen.
     
    Und wie bedauert uns das Tier!
    Mit welchem warmen Mitleid
    wacht die Erde über uns,
    wenn wir sie quälen.
     
    Armselig sind die Herrschenden,
    denn sie genügen sich nicht selbst.
    Und was wir uns auch immer neu zu schaffen glauben,
    verkleinert nur, was längst geschaffen war.
     
    Die Welt hält stand.
    Selbst wenn wir sie in Stücke jagen   –
    wir gehen nur an dem zu Grund,
    was wir verstehn.
     
    Nichts ist erklärbar.
    Nur im Unsichtbaren
    lernen wir zu sehen.
    Die zweite Elegie
     
    Kein Gift ist böse.
    Wären wir der Gifte Übermaß gewachsen,
    sie würden uns die Welt zu Füßen legen.
     
    Allen Pflanzen entwächst ein Ungeheueres.
    Sind sie nicht selbst schon ungeheuer?
    Allein ihr Dasein wär es wert,
    sie anzubeten wie ein Wunder.
     
    Warum nur
    wehren wir uns so
    dem Wundervollen eins zu sein?
     
    Vermummte Welt,
    die sich allein den Liebenden kurz öffnet.
    Preiszugeben ist sie nicht.
    Denn Glaube ist nicht käuflich
    und selbst die geduldigen Engel
    werden’s müde,
    sich mit geborgten Flügeln zu maskiern.
     
    Was rettet wohl die Richter,
    wer befreit sie
    aus ihrer versteinten Wirklichkeit?
    Wie kann sich einer jemals selbst verzeihen,
    der nie verzieh?
    Schuld bleibt nur denen,
    die sie anderswo verteilen.
    Der Menschen Anderssein
    ist höchstens lehrreich.
    Nie Entschuldigung für sich.
     
    Mir scheint,
    selbst die Weisen sind müde geworden,
    halten sich zurück.
    Wie sollten sie mit ihren zarten Gipfeln
    unsren Waffen auch noch widerstehn?
    Die dritte Elegie
     
    Doch immer wieder
    lässt es sich gut leiden und gut feiern
    und wechseln
    mit dem nie steten Licht.
     
    Stillere Nächte,
    tiefere Räusche,
    meine Seele übt sich schon ein bisschen
    im Fliegen.
    Bald muss sie weit hinaustreten.
    Ob sie zurückkehrt oder nicht:
    Ich lebe und danke.
     
    Stiller nähern sich die Ideen.
    Leiser fordert die Kunst.
    Zu oft vergeudet man Gedanken
    an Neues und Form.
    Ich
bin die Form
    und es bleibt keine Zeit mehr
    zu beschreiben.
     
    Dichtung ist Abglanz von anderswo
    und strömt als Gleiches durch ungleiche Herzen.
    Warten und redlich bemühn:
    Mehr bedarf’s nicht.
     
    Hier ist kein Platz
    für Schmähung und Pamphlet   –
    Gedichte sind wahrhaftigere Wesen.
    Wollen niemals verletzen.
     
    Schon immer war verstanden werden leichter
    als verstehen.
    Uns scheint der Sonne Schein
    oft größer als ihr Sein.
    Die vierte Elegie
     
    Hilfreich glaubt sich die Menschheit.
    Sie winkt von ihren Podesten
    alle Verdammten hoch
    in die bessre Vernunft.
     
    Aber wer ist schon verdammt,
    und wer der Hilfe bedarf,
    will nicht nach oben betteln.
     
    Fragt dich dein Hund,
    wenn du leidest,
    ob du aus eignem Verschulden
    in deinen Tränen erstickst?
     
    Traurig schleicht er um dich
    immer sorgsam bedacht,
    dich nicht zu stören
    und dir die Wunden zu lecken.
     
    Wie aber freut er sich,
    ohne Lob zu erheischen,
    wenn du gesundest!
     
    Doch wenn du stirbst,
    stirbt er schweigend mit dir
    und sicher legt er drüben
    ein gutes Wort für dich ein.
    Die fünfte Elegie
     
    Schließlich verschwinden die Bilder
    und es bleiben die Dinge:
    nicht mehr berührbar, beschaubar,
    unschuldig werden
    Worte und Mensch.
     
    Sind wir nicht da,
    uns zu erweitern?
    Und in der Weite
    zählt nicht mehr unser Gesicht   –
    wir werden angesehn,
    wie wir uns niemals erblickt.
     
    Farben lösen sich auf ins Nichts
    und werden bunter
    und alles wird ohne Gestalt erst
    vielgestalt.
     
    Wir nennen Höhe, was wir erklimmen,
    aber wie nennt die Höhe sich selbst?
    Immer sieht uns ein anderes an,
    das wir anders benennen.
     
    Werden heißt:
    immer mehr von sich
    und der Welt zu verlieren.
    Die sechste Elegie
     
    Einst, da waren wir schön.
    Bis wir die Schönheit

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