Jeder Kuss ein Treffer
Eine lange, schmale Zigarette hing ihr zwischen den Lippen.
»Wes Bridges?«, fragte sie, ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen.
»Ich habe gestern schon mit Ihnen gerechnet.« Ihre Stimme klang, als würde sie drei Packungen am Tag rauchen, und das seit der Grundschule.
»Das Leben ist nicht immer vorhersagbar, Mrs. Fortenberry. Darf ich reinkommen?«
»Ja.« Sie trat zurück und wartete, bis sie die Tür hinter ihm schließen konnte.
»Nennen Sie mich doch Eve.« Sie wies auf einen schwerfälligen Sessel, der dieselbe avocadogrüne Farbe hatte wie der Plüschteppich. Wes nahm Platz.
Schwer hing Knoblauchgeruch in der Luft. Wes blinzelte und rieb sich die Augen. Die Asche an Eves Zigarette war zweieinhalb Zentimeter lang. Er beobachtete sie genau.
»Ich mache gerade Spaghetti für einen kranken Nachbarn«, erklärte Eve.
»Mögen Sie Knoblauch?«
»In erträglichen Mengen.«
»Knoblauch hilft gegen alle möglichen Krankheiten, wissen Sie das? Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Als Wes verneinte, setzte sie sich ihm gegenüber auf das abgewetzte Sofa. Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, die Asche wurde noch länger. Schließlich fiel sie ihr aufs Kleid, ohne dass sie es bemerkte. »Nun«, sagte Eve. »Was haben Sie für mich?«
»Ich habe mich bei Ihrer Schwiegertochter eingemietet.«
Sie hustete trocken. »Das ging schnell.«
»Ich verschwende nicht gerne Zeit und Geld meines Auftraggebers«, erwiderte er.
»Was halten Sie von Annie? Ist sie verrückt? Ihre Großmutter hatte einen richtigen Knall. Und wie man so sagt, fällt der Apfel nicht weit vom Stamm.«
Wes machte ein nachdenkliches Gesicht. »Es ist noch zu früh, um das sagen zu können.«
Sie zog an der Zigarette, hustete. »Und was ist mit dem Haus? Ich frage Sie: Haben Sie so was schon mal gesehen?«
»Nein, noch nie.«
»Ich weiß, dass es früher ein Freudenhaus war oder, wie mein Vater sagen würde, Gott hab ihn selig, ein Puff.«
Wes hob die Augenbrauen. »Ach, wirklich?«
»Vor dem Bürgerkrieg. Habe ich vor langer Zeit mal irgendwo gelesen.« Sie überlegte. »Hat Annie von meinem Sohn gesprochen?«
»Ich habe gehört, er hätte sie wegen einer anderen Frau verlassen.«
»Das ist dasselbe Ammenmärchen, das sie der Polizei aufgetischt hat. Deswegen wurde auch so grottenschlecht ermittelt. Dieser Lamar Tevis, der Polizeichef, ist ein Vollidiot. Hat sich vor drei Jahren ein superschickes Boot zum Tiefseeangeln gekauft. Sobald er es abbezahlt hat, will er in Pension gehen und einen Charterservice für Tiefseeangler aufmachen. Der sitzt nur noch seine Zeit ab.«
»Sie glauben nicht, dass Ihr Sohn Annie verlassen hat?«, fragte Wes.
»Im Leben nicht! Sonst hätte ich Sie wohl kaum engagiert.«
Wes schaute sich im Wohnzimmer um. »Vielleicht sprechen wir noch mal über mein Honorar.«
»Den Scheck für den Vorschuss hat die Bank doch eingelöst, oder?«, fragte sie pikiert. Als Wes nickte, fuhr sie fort: »Ich komme für Ihre Unkosten auf, Mr. Bridges. Wie ich Ihnen bereits am Telefon sagte, ist mein Mann vor drei Monaten gestorben. Zum Glück hatte er eine beachtliche Lebensversicherung, deshalb konnte ich jetzt endlich etwas unternehmen wegen meines verschwundenen Sohnes. Wenn es sein muss, haue ich das ganze Geld auf den Kopf, bis ich weiß, was mit Charles passiert ist.«
Wes lächelte die Frau freundlich an. »Eve, das Auto Ihres Sohnes wurde am Flughafen von Savannah gefunden. Ohne Gepäck. Er räumte alle Sparkonten, die er zusammen mit seiner Frau besaß. Er hatte genug Geld, um an jeden Ort der Welt zu fliegen.«
Sie machte ein trotziges Gesicht. »Für das Geld hat mein Sohn hart gearbeitet. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, wie viel es kostet, ein Haus so groß wie das von Annie zu unterhalten? Allein die Stromrechnung würde mir das Genick brechen.« Sie nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette. »Es gibt keine Unterlagen darüber, dass er in ein Flugzeug stieg, kein Ticket, nichts. Das haben wir längst überprüft. Worauf es ankommt, ist, dass Charles niemals so lange fortgeblieben wäre, ohne sich bei mir zu melden. Ganz gleich, unter welchen Umständen«, fügte sie hinzu. »Ich habe Ihnen das Doppelte des üblichen Satzes bezahlt, weil Sie angeblich der Beste in der Branche sind. Ich will, dass mein Sohn gefunden wird.«
Das Mittagessen war vorbei. Annie und Theenie räumten die Küche auf, als Danny Gilbert mit seiner Schleifmaschine eintraf. Annie bestand darauf, dass er etwas
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