Jeder Kuss ein Treffer
Annie an. »Du hast schon was bekommen«, sagte sie. Peaches klopfte mit der Pfote gegen die Tür, ohne Annie aus den Augen zu lassen.
»Wie wäre es, wenn wir die Katze durch Erdles Küchenfenster reinließen?«, schlug Lovelle vor. »Da wäre er schnell wiedernüchtern.«
»Das ist gemein«, sagte Annie, musste aber bei der Vorstellung lachen.
Der Mülleimer kippte um, der Inhalt verteilte sich auf dem Boden. Peaches steckte den Kopf hinein und suchte nach Essbarem. Annie tat, als merke sie es nicht.
»Ich räum das wieder auf«, erbot sich Wes und schob den Stuhl zurück.
»Das kann warten«, sagte Annie. »Iss deinen Teller leer!«
»Aber die veranstaltet eine Riesensauerei«, widersprach Wes.
»Glaub mir, am besten ignoriert man das Vieh, wenn es schlechte Laune hat.« Der Mülleimer schaukelte hin und her. Darin saß Peaches und wühlte nach Essensresten. Es dauerte nicht lange, da war der gesamte Müll auf dem Boden verteilt. Der Eimer rollte davon, durch die offene Schwingtür ins Wohnzimmer. In einem der Zimmer zersplitterte etwas. Die Frauen schauten nicht von ihren Tellern auf.
»Gibt es in diesem Haus nicht eine ruhige Minute?«, fragte Wes.
Annie schaute ihn an. Ihr fiel ein, dass er ihr Heim einmal ein Irrenhaus genannt hatte. »Doch, eigentlich immer.«
Lovelle nickte. »Normalerweise ist es hier wirklich ruhig.«
»Geradezu langweilig, könnte man sagen«, fügte Theenie hinzu.
Wes aß weiter. »Ach, wo ist eigentlich Destiny?«
»Sitzt in der Nervenklinik«, erwiderte Annie und konzentrierte sich wieder auf ihr Essen.
ELF
Es war nach zehn Uhr abends, als Annie duschte und ins Bett ging. Theenie und Lovelle hatten sich schon früh zurückgezogen, kurz danach war auch Wes nach oben gegangen, nachdem er sich aus dem Regal im Sonnenzimmer einen Krimi von Ludlum ausgesucht hatte. Annie stellte ihren Wecker, knipste das Licht aus und kuschelte sich tief in die Decken, nicht weil ihr kalt war, sondern weil sie die Schwere des Bettes auf sich fühlen wollte, die Geborgenheit, die sein Gewicht vermittelte.
Der Mond schien durch ihr Fenster und ließ das Zimmer sanft schimmern. Bei dem ersten Besuch bei ihrer Großmutter, an den Annie sich erinnern konnte, hatte sie in diesem Zimmer geschlafen. Als sie dann eingezogen war, hatte sie es zu ihrem gemacht. Hier hatte sie sich geschützt und geliebt gefühlt, schließlich schlief ihre Großmutter nebenan. Selbst nach deren Tod war Annie in dem kleinen Zimmer geblieben. Das große Schlafzimmer mit seinem ausgefallenen Mobiliar und der verspiegelten Decke hatte sie abgeschlossen, war nur von Zeit zu Zeit zu einem Nickerchen in das gewaltige Doppelbett geschlüpft und hatte sich in das Lieblingstuch der Großmutter gehüllt.
Kurz vor der Hochzeit mit Charles hatte Annie die Kleidung und die persönlichen Gegenstände ihrer Großmutter zusammengepackt und auf dem Dachboden verstaut. Irgendwann war ihr Geruch verschwunden und von Charles‘ Aramis und Annies schlichtem White Linen ersetzt worden. Geliebt hatten sie sich zwischen Larry King Live und David
Letterman.
Als die Ehe langsam in die Brüche ging, zappte Charles in der Stunde zwischen den beiden Talkshows durch alle Kanäle. Annie verbrachte die Abende mit dem Lesen von Artikeln wie »Neuer Schwung für Ihr Sexleben«, »So machen Sie Ihren Mann ganz verrückt« und »So klappt es jedes Mal«.
Irgendetwas musste sie falsch gemacht haben, glaubte sie damals, weil Charles von einem Tag auf den anderen plötzlich fort war. Annie zog wieder um in ihr altes kleines Zimmer und las Zeitschriften mit Artikeln wie »So überleben Sie die Trennung«, »Leben nach der Scheidung« und »Glücklich allein«.
Etwas schlug gegen ihre Tür. Annie zuckte zusammen. Auf dem Flur miaute Peaches. Annie überlegte, ob sie sich ein Kopfkissen auf die Ohren drücken sollte, um nichts mehr hören zu müssen, hatte aber Angst, die Katze würde die anderen wecken. Deshalb schleppte sie sich aus dem Bett und öffnete die Tür, doch die Katze lief den Flur hinunter zur Treppe. Wahrscheinlich wollte sie in die Küche. Verfluchtes Tier, schimpfte Annie vor sich hin. Es wäre einfacher, wenn sie ihr einfach ein Futterrohr in den Hals stopfen würde.
»Peaches«, rief Annie leise und lief barfuß den Flur hinunter. »Komm her, Peaches!« Die Katze gab einen tiefen, kehligen Laut von sich und flitzte davon.
Zuerst sah Annie es nur, dann spürte sie es: Etwas Helles, Fragiles schwebte nur wenige Meter entfernt und kam
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