Jeder stirbt für sich allein
schwerwiegender Fehler», fuhr der Kriminalrat eifrig fort, «diese Ermittlungen überhaupt zu übernehmen. Ich tauge nur für die stille Arbeit am Schreibtisch, nicht für den Fahndungsdienst. Kollege Escherich macht so etwas zehnmal besser als ich. Nun habe ich auch noch das Unglück gehabt», fuhr er beich-tend fort, «daß einer meiner Leute, den ich mit der Ermittlung in einem dieser Häuser beauftragt hatte, verhaftet worden ist, ein gewisser Klebs. Wie mir mitgeteilt wird, soll er an einem Diebstahl beteiligt sein, an der Ausräuberung eines Dipsomanen. Übrigens ist er schwer verletzt. Eine sehr häßliche Geschichte. Der Mann wird bei der Verhandlung nicht den Mund halten, er wird sagen, wir haben ihn geschickt ...»
Der Obergruppenführer Prall zitterte vor Zorn, aber der traurige Ernst, mit dem Kriminalrat Zott sprach, und seine völlige Unbekümmertheit um das eigene Schicksal hielten ihn noch im Zaum.
«Und wie denken Sie sich die Fortsetzung der Sache, Herr?» fragte er kalt.
«Ich bitte Sie, Herr Obergruppenführer», bat Zott mit flehend erhobenen Händen, «ich bitte Sie, entbinden Sie mich! Entbinden Sie mich von diesem Dienst, dem ich in keiner Weise gewachsen bin! Holen Sie den Kommissar Escherich wieder aus seinem Keller, er wird es besser machen als ich ...»
«Ich hoffe», sagte Prall und schien alles eben Gesagte nicht gehört zu haben, «ich hoffe, Sie haben wenigstens die Anschriften der beiden inhaftiert Gewesenen notiert?»
«Ich habe es nicht! Ich habe mit sträflichem Leichtsinn gehandelt, von meiner Lieblingsidee verführt. Aber ich werde mich mit dem Revier verbinden lassen, man wird mir die Adressen geben, wir werden sehen ...»
«Also lassen Sie sich verbinden!»
Das Gespräch war nur sehr kurz. Der Kriminalrat sagte zu dem Obergruppenführer: «Auch dort hat man die Adressen nicht notiert.» Und auf eine zornige Bewegung seines Vorgesetzten: «Ich bin schuld, ich ganz allein! Nach dem Telefongespräch mit mir mußte man dort die Angelegenheit für endgültig erledigt ansehen. Ich allein bin schuld, daß nicht einmal eine Aktennotiz gemacht wurde!»
«So daß wir jetzt keinerlei Spur mehr haben?»
«Keinerlei Spur!»
«Und wie denken Sie über Ihr Verhalten?»
«Ich bitte, Herrn Kommissar Escherich aus dem Keller zu holen und mich an seiner Stelle festzusetzen!»
Obergruppenführer Prall sah den kleinen Mann eine Weile sprachlos an. Dann sagte er, zitternd vor Wut:
«Wissen Sie, daß ich Sie in ein KZ schicken werde? Sie wagen, mir einen solchen Vorschlag ins Gesicht hinein zu machen, und Sie zittern und heulen nicht vor Angst? Aus dem Zeug, wie Sie sind, sind auch die Roten, die Bolschewiken, gemacht! Sie bekennen Ihre Schuld, aber Sie scheinen noch stolz darauf!»
«Ich bin nicht stolz auf meine Schuld. Aber ich bin bereit, die Folgen zu tragen. Und ich hoffe, ich werde es oh-ne Zittern und Heulen tun!»
Obergruppenführer Prall lächelte verächtlich zu diesen Worten. Er hatte unter den Schlägen der SS-Männer schon viel Würde zerfallen gesehen. Aber er hatte auch den Blick in den Augen mancher Gemarterten gesehen, diesen Blick, der in aller Qual von einer kühlen, fast spöttischen Überlegenheit sprach. Und die Erinnerung an diesen Blick machte es, daß er, statt zu schreien und zu schlagen, nur sagte: «Sie halten sich in diesem Zimmer zu meiner Verfügung. Ich muß erst Bericht erstatten.»
Kriminalrat Zott neigte zustimmend den Kopf, und der Obergruppenführer Prall ging.
Kommissar Escherich wieder frei
Der Kommissar Escherich ist wieder im Amt. Der Totgeglaubte ist aus den Kellern der Gestapo wieder zum Leben auferstanden. Ein wenig beschädigt und zerknittert sitzt er doch wieder an seinem Schreibtisch, und seine Kollegen beeilen sich, ihn ihrer Sympathie zu versichern. Sie hätten immer an ihn geglaubt. Sie hätten alles gerne für ihn getan, was in ihrer Macht stand. «Nur, weißt du, wenn erst die höhere Führung jemanden in Verschiß tut, kann un-sereiner nichts mehr machen. Da verbrennt man sich nur die Pfoten. Nun, das weißt du ja alles selbst, das verstehst du ja, Escherich.»
Escherich versichert, daß er alles versteht. Er verzieht den Mund zu einem Lächeln, das ein wenig unglücklich aussieht, vermutlich weil Escherich noch nicht gelernt hat, mit einigen Zahnlücken im Munde zu lächeln.
Nur zwei Reden haben auf ihn bei seinem Diensteintritt Eindruck gemacht. Die eine kam vom Kriminalrat Zott.
«Kollege Escherich», hatte der gesagt.
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