Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
kümmern zu können.
Vertrauen und Zuversicht
Könnten wir zuschauen, wie sich das menschliche Gehirn vor der Geburt und während der frühen Kindheit entwickelt, kämen wir aus dem Staunen nicht heraus. Wir würden sehen, dass sich durch Zellteilung Millionen von Nervenzellen bilden und sich zu Zellhaufen ordnen. Wir könnten aus diesen Nervenzellen auswachsende Fortsätze erkennen, die mit anderen Zellen in Kontakt treten, und würden Zeuge, wie ein erheblicher Teil dieser Nervenzellen einfach abstirbt und für immer verschwindet, weil es ihm nicht gelungen ist, sich in ein Netzwerk einzuordnen und dort eine bestimmte Funktion zu übernehmen.
Die verbliebenen Nervenzellen formieren sich zu deutlich voneinander abgegrenzten Verbänden, sogenannten Kerngebieten, und bilden ein immer dichteres Netzwerk von Fasern und Fortsätzen. Während dieser Phase, die sich in den einzelnen Bereichen des Gehirns in einer zeitlichen Reihenfolge von hinten, dem Hirnstamm, nach vorn, ins Stirnhirn vollzieht, scheint es, als ob sich jede Nervenzelle mit jeder anderen über so viele Kontakte wie möglich verbinden möchte. Zu diesem Zeitpunkt– im Hirnstamm liegt dieser vor der Geburt, im Stirnhirn wird er etwa im sechsten Lebensjahr erreicht– ist die Anzahl der Nervenzellkontakte so groß wie niemals wieder im späteren Leben. Wenn erst einmal alles mit allem verbunden ist, werden all jene Kontakte wieder zurückgebildet und aufgelöst, die nicht » gebraucht« und nicht durch Nutzung und Stimulation gefestigt und stabilisiert werden. Wenn man so will: Das Angebot ist da, es kommt auf die Nachfrage an. Und diese » Nachfrage« wird durch die Erfahrungen bestimmt, die ein Kind macht.
Deshalb müssen Kinder von früh an reich werden an Erfahrung. Wir sagen » Erfahrungsschatz«, wenn wir Menschen begegnen, die viel erlebt haben. Wir schätzen Erfahrungen hoch ein, sie sind von großer Bedeutung. Wir trauen eher einem Menschen, der erfahren ist. Eine Unze Erfahrung, hat Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, gesagt, ist so viel wert wie eine Tonne Theorie.
Es müssen aber eigene Erfahrungen sein, keine, die andere für uns machen. Kinder wollen aus sich heraus handeln und herausfinden, wie das Leben funktioniert. Nur dann lernen sie auch mit einer Beharrlichkeit, die wir Großen kaum noch nachvollziehen können. Ihre Ausdauer ist vergleichbar mit der von Spitzensportlern. Babys wiederholen jede Handlung so lange, bis sie sitzt. Bis sie diese beherrschen. Immer und immer wieder, im festen Vertrauen, dass es ihnen auch gelingt. Vertrauen und Zuversicht bringt jedes Kind bei seiner Geburt mit auf die Welt. Wäre dem nicht so, könnte es keinen Tag überleben.
Dieses Vertrauen und diese Zuversicht sind entstanden, weil jedes Kind im Mutterbauch bereits erlebt hat, dass seine Bedürfnisse befriedigt wurden und es sein Leben dort zu meistern imstande war. Schutz, Nähe, Wärme, Geborgenheit: All das erlebt ein Kind in den neun Monaten der Schwangerschaft. Diese Erfahrung ist fest in seinem Gehirn verankert. Und so soll es bitte auch nach der Geburt weitergehen. Das Kind vertraut darauf, weiterhin gehalten und getragen, beschützt und versorgt zu werden. Jedes Kind hat diese Erwartung, auch wenn es noch gar nicht erahnen kann, welche Bedeutung diese Worte haben.
Gestärkt wird das Ur-Vertrauen durch alles, was das Kind in der ihm fremden Welt an bereits Vertrautem wiederfindet. All die Wahrnehmungen, die es bereits im Mutterleib erlebt hat. Dabei wird jede neue Erfahrung, die das Kind nun in der ihm vertrauten Nähe zur Mutter macht und die ihm hilft, die Welt zu verstehen und sich in dieser Welt zurechtzufinden, selbst wieder zu etwas Vertrautem. So entwickelt sich Vertrauen aus Vertrautem, und die Zuversicht, dass alles gut wird, entsteht aus der Erfahrung, dass es bisher gut gegangen ist.
Mit jeder neuen Erfahrung bilden sich im Gehirn neue Verknüpfungen; und keines der vorgeburtlich entstandenen Verschaltungsmuster ist so fest verankert, dass es sich nicht mehr durch spätere Erfahrungen verändern könnte. Kinder lernen immer; und sie lernen immer, indem sie sich zu dem, was sie wahrnehmen und was es in der Welt zu entdecken gibt, in Beziehung setzen. Wie die Erwachsenen müssen auch Kinder versuchen, jede neue Wahrnehmung und jede neue Erfahrung an etwas anzuknüpfen, das bereits da ist, das sie schon wissen und ihnen irgendwie vertraut ist. Und wie bei uns Erwachsenen ist auch bei
Weitere Kostenlose Bücher