Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
die gemeinsame Burg.
Es ist für Kinder ein Glück, im Tun mit anderen sich selbst zu entdecken. Wem diese Erfahrung verwehrt bleibt, wird es später schwer haben. Sein tiefes Bedürfnis nach Verbundenheit kann ein Kind so nicht im gemeinsamen Schaffen, sondern nur in einer engen Beziehung mit seinen wichtigsten Bezugspersonen stillen. Kinder versuchen dann alles, um deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie folgen ihnen auf Schritt undTritt und suchen ständig ihre Nähe in einer unmittelbaren personalen Beziehung. Doch wenn sie älter werden, spüren sie, dass diese enge Beziehung sie an der Entfaltung ihrer eigenen Möglichkeiten behindert. Sie fühlen sich zunehmend eingeengt und unfrei und können ihr zweites angeborenes Grundbedürfnis nach Wachstum, Autonomie und Freiheit nicht hinreichend stillen. Dieser innere Konflikt äußert sich in Verhaltensweisen wie Aufsässigkeit und Ungehorsam. Das Zusammenleben wird immer schwieriger. Die Eltern leiden, das Kind leidet, die Beziehung leidet.
Das Hin und Her macht sich vor allem im Kopf bemerkbar. Weil die Eltern über bereits entstandene und weitgehend gefestigte Nervenverbindungen verfügen, wird bei ihnen nur wenig Durcheinander im Frontalhirn erzeugt, und das auch nur vorübergehend. Im Gehirn des Kindes aber haben solche Beziehungsstörungen nachhaltige Folgen. Die Verknüpfungen der Nervenzellen in ihrem Frontalhirn müssen ja erst noch ausgebildet und stabilisiert werden. Das kann nicht gelingen, wenn dort immer wieder Chaos herrscht. So entstehen nicht nur Schwierigkeiten beim Lernen. So wird auch der Erwerb der im Frontalhirn verankerten Funktionen und Metakompetenzen verhindert. Hierzu zählen so komplexe menschliche Leistungen wie die Fähigkeit, Impulse zu kontrollieren. Frust zu ertragen. Handlungen zu planen. Die Folgen seines Tuns abzuschätzen, sich in andere Menschen hineinzufühlen, Verantwortung zu übernehmen und seine Aufmerksamkeit auf eine Sache zu lenken.
Diese entscheidenden Fähigkeiten erwerben Kinder nur durch eigene Erfahrungen, beim Lösen von Problemen und der Bewältigung von Herausforderungen. Nur dann werden im Gehirn die dafür zuständigen Nervenzellverknüpfungen herausgeformt und gefestigt.
Sie entstehen nicht auf Kommando, man kann sie Kindern nicht beibringen und sie lassen sich auch nicht unterrichten. Diese wichtigen, für ihr gesamtes weiteres Leben entscheidenden Kompetenzen können Kinder nur durch eigenes Denken und Handeln, durch eigenes Entdecken und Gestalten erwerben. Und das findet vor allem dort statt, wo die meisten Erwachsenen es am wenigsten vermuten: im Spiel. Im spielerischen Umgang mit den Problemen, die wir Erwachsene unseren Kindern gewollt oder ungewollt bescheren, bereiten sich Kinder auf das Leben vor. Dort erwerben sie neue Fähigkeiten, dort machen sie ihre wichtigsten Erfahrungen. Beim eigenen, von uns nicht überwachten und kontrollierten Spiel begegnen sie anderen Kindern, mit denen sie sich verbunden und denen sie sich zugehörig fühlen. Sie lernen, Konflikte zu lösen und immer neue Herausforderungen zu meistern.
Wenn wir Erwachsene uns bisweilen aufregen über das, was Kinder sich beim Spielen erarbeiten, wenn wir sie streitend, ballernd, keifend, destruktiv, narzisstisch, desinteressiert, gelangweilt oder hyperaktiv erleben, vergessen wir allzu leicht, dass sie auf diese Weise doch nur versuchen, sich in harter Arbeit eben genau all das anzueignen, was wir ihnen als unsere Lösungen, sich im Leben zurechtzufinden, vorleben.
Denn das menschliche Gehirn ist nicht zum Auswendiglernen von Sachverhalten, sondern für das Lösen von Problemen optimiert. Aus diesem Grund sind Kinder ständig auf der Suche nach immer neuen Herausforderungen, an denen sie wachsen können. Es tut ihnen gut, wenn sie vielfältige Gelegenheiten finden, sich selbst einzubringen, an etwas Wichtigem mitzuwirken und Verantwortung zu übernehmen. Nur so können Kinder den Nutzen von Disziplin und die Freude von gemeinsamem Gestalten erfahren.
Das Gehirn eines Menschen entwickelt sich anhand der in sozialen Beziehungen gemachten Erfahrungen. Ungünstige Erfahrungen mit anderen Personen zwingen Kinder dazu, sich von anderen abzugrenzen, um sich vor ihnen zu schützen.
Günstige, die eigene Entdeckerfreude und Gestaltungslust beflügelnde Erfahrungen können Kinder nur innerhalb einer Gemeinschaft machen, in der sie erleben, wie schön es ist, gemeinsam mit anderen etwas entdecken, gestalten oder sich einfach um etwas
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