Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
und den artspezifischen Lockruf noch nie gehört hat. Das sieht auf den ersten Blick nach Vererbung aus, aber so einfach ist es nicht. Die Küken rufen nämlich schon vor dem Schlüpfen aus dem Ei heraus. Verhindert man das, zum Beispiel durch Verkleben des Schnabels– dazu muss man ein kleines Loch in die Eischale machen und den Schnabel zukleben– , wissen sie später nicht, zu welchem mütterlichen Lockruf sie laufen sollen. Ihr Gehirn lernt den artspezifischen Ruf durch das eigene Gepiepse. Nach dem Schlüpfen rennen die Küken dann immer dorthin, wo es so ähnlich klingt wie das Gepiepse, das sie selbst im Ei erzeugt haben. Der artspezifische mütterliche Ruf enthält nämlich bestimmte Frequenzen, die diesem Piepsen sehr ähnlich sind. Was so aussieht, als sei es vererbt, ist also in Wirklichkeit erworben, allerdings bereits vor der » Geburt«.
Jedes Kind hat, wenn es zur Welt kommt, Vernetzungen in seinem Gehirn herausgebildet, die nicht nur genau zu seinem Körper passen, sondern auch durch die Sinneseindrücke und Einflüsse von seiner Mutter und ihren körperlichen Reaktionen geprägt und gelenkt worden sind. Aus diesem Grund ist jedes Kind einzigartig und sein Gehirn ein einzigartig herausgeformtes Gebilde. Für den späteren Erwerb bestimmter Leistungen bringen manche Kinder bereits bei ihrer Geburt günstigere Voraussetzungen mit, in anderen Bereichen sind sie dann vielleicht weniger begabt. Und doch ist das noch nicht die ganze Erklärung für das, was wir eine angeborene Begabung nennen.
Ein Ungeborenes kann im Mutterleib ja auch schon Erfahrungen machen, die es mit Gefühlen verknüpft. Wenn die Mutter zum Beispiel Angst vor dem Vater hat, spürt der Fötus das. Die Bauchdecke der Mutter zieht sich während des Streits zusammen, Stresshormone werden ausgeschüttet, das Herz rast. Das Kind wird zusammengedrückt, es hört die schnellen Herztöne der Mutter und die laute Stimme des brüllenden Vaters. Der Fötus erstarrt. Diese Erfahrung wird im Gehirn abgespeichert. Die Netzwerke, die beim eigenen Zusammengedrücktwerden und derWahrnehmung der lauten Stimme des brüllenden Vaters aktiviert werden, verbinden sich. Nach der Geburt verfällt das Kind dann automatisch in eine ähnliche Erstarrung, wenn der Vater laut wird.
Umgekehrt kann man sich vorstellen, dass beispielsweise Mozarts Mutter sich immer dann besonders wohlfühlte und bei Stress entspannte, wenn ihr Mann musizierte. Der kleine Mozart in ihrem Bauch bekam dann mehr Raum zum Bewegen, und Atmung und Herzschlag der Mutter wurden harmonischer. Vielleicht streichelte und wiegte sie dabei sogar liebevoll ihren Bauch. Das Erleben von Musik wurde so bei ihrem ungeborenen Kind mit einem angenehmen Gefühl verkoppelt. Kein Wunder also, dass Amadeus auch nach der Geburt immer dann, wenn er Musik hörte, dieses Gefühl wiedererlebte und verzückt war. Ähnliches gilt für eine Frau, die während der Schwangerschaft gern joggt, sich dabei entspannt und Glück empfindet. Das kann dazu führen, dass auch ihr Kind später besondere Lust beim Geschaukeltwerden und Sichbewegen empfindet.
Natürlich gibt es auch Kinder, deren Gehirn sich unter ungünstigen, die normale Entwicklung des Körpers oder des Gehirns störenden Einflüssen entwickeln musste. Solche Kinder fallen später dadurch auf, dass sie bestimmte Leistungen, die andere Kinder problemlos erbringen, nur sehr langsam und auch nur in begrenztem Umfang ausbilden. Sie kommen mit einem angeborenen Handicap zur Welt. Allzu leichtfertig bezeichnen wir sie als » Behinderte«. Zum Bespiel Menschen, die keine Arme oder nur Armstummel besitzen, weil sie vorgeburtlich durch das Medikament Contergan geschädigt worden sind. Haben Sie schon einmal gesehen, was diese Kinder mit ihren Beinen und Füßen zustande bringen? Das ist ganz und gar außergewöhnlich, also auch eine besondere Begabung. Haben Sie schon einmal beobachtet, zu welchen Leistungen taube oder blinde Menschen in der Lage sind? Wie anders als außergewöhnlich soll man die Fähigkeiten bezeichnen, die diese Kinder als Kompensationsleistungen entwickeln, um sich trotz ihres Handicaps in der Welt zurechtzufinden? Und wie viele gerade dieser Kinder haben sich später zu ganz besonderen Menschen entwickelt, die wir als begnadete Erfinder, Künstler oder Wissenschaftler bewundern!
Immer wieder gibt es außergewöhnliche Denker, die Probleme gelöst haben, an denen sich Experten vergeblich die Köpfe zerbrochen haben, die andererseits aber
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