Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
Kinder selbst bei optimaler Förderung nicht schaffen. Und besonders wichtig erscheinen ihnen all jene Talente, die es einem Kind ermöglichen, außergewöhnliche Leistungen auf einem Gebiet zu erreichen, welches in unserer gegenwärtigen Welt besonders hohe Anerkennung findet. In einer Sportart zum Beispiel oder im Singen und Musizieren, beim Malen, Bauen oder künstlerischen Gestalten, oder eben in Mathematik, Technik oder Naturwissenschaft. Dass es Kinder gibt, die die besondere Begabung mitbringen, auf die höchsten Bäume zu klettern, Weltmeister im Kirschkern-Weitspucken zu werden oder im Rückwärtslaufen, finden nur wenige Eltern und Erzieher bemerkenswert. Solche Talente haben in unserer Zeit keine Bedeutung, damit verdient man sicher kein Geld und damit lässt sich auch nichts anfangen. Deshalb interessiert sich auch so gut wie niemand dafür.
Trotzdem stellt sich die Frage, wie all diese besonderen Begabungen entstehen. Woher hat ein Kind zum Beispiel die außergewöhnliche Fähigkeit, mathematische Probleme zu lösen, an denen sich die besten Denker aller Zeiten vergeblich die Köpfe zerbrochen haben? Woher kommt es, dass es im Alter von fünf Jahren schon so bezaubernd Geige spielt, dass den Zuhörern vor Bewunderung der Atem stockt?
Die Entstehung von Begabungen
Wer so etwas zustande bringt, glauben wir, muss wohl schon mit dieser Begabung auf die Welt gekommen sein. Wir denken, er müsse über eine besondere Vernetzung im Gehirn verfügen. Und weil wir keine Idee davon haben, wie eine derartige besondere Vernetzung in den für die Steuerung solcher Leistungen zuständigen Bereichen des kindlichen Gehirns herausgebildet wird, machen wir die Gene dafür verantwortlich. Das klingt ziemlich plausibel, denn in manchen Familien häufen sich besondere Begabungen, was dafür spricht, dass sie vererbt werden. Und wenn so etwas erblich ist, glauben wir automatisch, es seien bestimmte Gene und Genkonstellationen, die das betreffende Merkmal von den Eltern auf ihre Nachkommen übertragen. Wie das geht, hat ja jeder irgendwie in der Schule mitbekommen, als die Mendelschen Erbregeln behandelt wurden. Was bei Erbsen und Kaninchen funktioniert, denken wir, müsse wohl so ähnlich auch für die Herausbildung besonderer Begabungen von Menschen gelten. Schließlich werden ja auch andere Merkmale wie zum Beispiel die Farbe der Iris vererbt. Das ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Und diese Erklärung hat bisher auch fast allen ausgereicht. Sie war einfach, einleuchtend und bequem. Dass Kindergehirne keine Erbsen sind und dass das, was dort passiert, nicht so einfach organisiert sein kann wie das Zustandekommen einer bestimmten Fellfärbung bei Kaninchen, hat bisher kaum jemanden gestört.
Inzwischen aber wissen wir, dass Gene nur in der Lage sind, die Leistungen von Zellen zu steuern, nicht aber deren Zusammenwirken. Doch im Gehirn kommt es weniger darauf an, ob Nervenzellen besondere Eiweiße herstellen oder besondere Leistungen vollbringen können. Es kommt darauf an, wie sie zusammenwirken und miteinander verknüpft sind. Oder besser gesagt: wie sie im Verlauf der Hirnentwicklung miteinander verknüpft werden, welche der anfangs im Überschuss bereitgestellten Kontakte zwischen den Nervenzellen einer bestimmten Hirnregion regelmäßig aktiviert und dadurch stabilisiert und gefestigt werden und welche dieser anfänglich bereitgestellten Verknüpfungen nicht genutzt, destabilisiert und wieder eingeschmolzen werden. All das können Gene nicht regeln.
» Nutzungs- oder erfahrungsabhängige Neuroplastizität« heißt das Phänomen, das umschreibt, was die Entwicklungsneurobiologen in den letzten Jahren in mühevoller Kleinarbeit und abseits vom Mainstream der bislang so dominanten Genforschung über die Strukturierung neuronaler Netzwerke während der Hirnentwicklung herausgefunden haben. Es bedeutet nichts anderes, als dass das Gehirn so wird, wie man es benutzt. In den frühen Phasen der Hirnentwicklung kommen die ersten Signalmuster, anhand derer sich die ersten Verschaltungsmuster in den zuerst ausreifenden Bereichen des Gehirns strukturieren, aus dem Körper des Fötus. Dabei handelt es sich um Erregungsmuster aus den verschiedenen Körperorganen, von der Körperoberfläche und aus den unterschiedlichen Muskelgruppen. Immer dann, wenn beispielsweise der Arm des ungeborenen Kindes zuckt, entsteht im Gehirn ein spezifisches Erregungsmuster, und je häufiger dieses Muster aufgebaut wird, weil der Arm wieder
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