Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
nicht in der Lage waren, sich im normalen Leben zurechtzufinden. Sie alle hatten ein Handicap, das sie durch ein außergewöhnlich gut ausgebildetes analytisches Denken mehr oder weniger gut zu kompensieren imstande waren: Ihnen mangelte es an emotionaler Sensibilität, sie konnten sich schon als Kinder nur schwer in die Gefühlswelt anderer Menschen hineinversetzen. Albert Einstein soll auch so einer gewesen sein. Bei den sogenannten Savants, wie Psychiater sagen, also autistisch veranlagten Menschen, lässt sich dieses Phänomen in noch stärkerer Ausprägung beobachten: Sie können sich so gut wie alles merken, aber finden sich im sozialen Leben einfach nicht zurecht. Auch das ist, wenn man so will, eine besondere Begabung.
Wie unterschiedlich die Bedingungen auch sein mögen, unter denen sich das kindliche Gehirn strukturiert, die Herausbildung einer besonderen Gabe folgt immer dem gleichen Prinzip: Es muss für die Person als Fötus oder in der frühen Kindheit besonders bedeutsam gewesen sein, diese Fähigkeit und die dieser Fähigkeit zugrunde liegenden neuronalen Vernetzungen herauszuformen. Deshalb müssen wir, um die Entstehung einer besonderen Begabung zu verstehen, eine entscheidende Frage stellen: Was war für das betreffende Kind im Verlauf seiner bisherigen Entwicklung besonders wichtig? Was hat ihm besonders geholfen und deshalb dazu geführt, dass sich diese besonderen Verschaltungen in seinem Gehirn herausbilden konnten, die zur Grundlage dessen wurden, was sich bei diesem Kind schließlich als eine besondere Begabung erweist?
Neben den Signalen des eigenen Körpers und denen der Mutter noch im Mutterleib ist für das Kind all das bedeutsam– das wissen wir als Erwachsene aus eigener Erfahrung–, was » unter die Haut« geht und ein Gefühl in uns auslöst. Es ist zwar wichtig, welches Problem, welche Störung oder Bedrohung dieses Gefühl ausgelöst hat. Aber weitaus bedeutsamer ist die Lösung, die wir gefunden haben, um damit klarzukommen. Oder eine Gefahr abgewehrt zu haben. Die Art und Weise, wie wir uns im Leben zurechtzufinden versuchen.
Immer dann, wenn uns das gelingt, bringen wir nach einer Störung gewissermaßen wieder » Ordnung« in unser Gehirn. Neurobiologen bezeichnen dies als Wiederherstellung von Kohärenz. Sie meinen damit nichts anderes, als dass alles, was eben noch durcheinander gewesen ist, nun wieder in Einklang, in Resonanz, in Synchronisation kommt. Immer dann, wenn wir eine Störung unseres inneren Gleichgewichts durch eine eigene » Gegenregulation« auszugleichen imstande sind, wenn wir also eine Lösung für ein Problem finden, werden in unserem Gehirn die sogenannten emotionalen Zentren aktiviert. Das sind neuronale Netzwerke im Mittelhirn mit Nervenzellen, deren Fortsätze sich weit in andere Hirnbereiche erstrecken. Wenn es zu einer Erregung dieser emotionalen Zentren kommt, werden neuroplastische Botenstoffe ausgeschüttet, die in den höheren Bereichen des Gehirns Probleme lösen. Die dort eingebundenen Nervenzellen beginnen dann, all jene Eiweiße vermehrt herzustellen, die für das Wachstum und die Stabilisierung von Fortsätzen und Kontakten gebraucht werden. So kommt es zu einer, man könnte sagen, durch die Freude an der gefundenen Lösung ausgelösten Verstärkung und Verbesserung derVerschaltungsmuster im Gehirn, die zu dieser Lösung erfolgreich eingesetzt wurden. Deshalb werden nicht nur wir, sondern auch schon kleine Kinder immer besser bei der Entfaltung ihrer besonderen Begabungen, je mehr Freude sie dabei empfinden. Diese Freude kann man jedoch weder anordnen noch erzeugen. Jedes Kind kann sie nur selbst empfinden. Und das erlebt auch schon ein Kind nur dann, wenn ihm etwas wirklich wichtig, eben bedeutsam ist.
Die Entfaltung von Begabungen
Jedes Kind kommt also mit einem Gehirn zur Welt, mit dessen Hilfe es nicht nur seinen Körper und alle im Körper ablaufenden Prozesse optimal steuern kann, sondern mit dem es auch all das lernen kann, worauf es in seinem weiteren Leben ankommt. Deshalb verfügt jedes Kind über ein ganz besonderes, für die Organisation seines Körpers und für sein weiteres Wachstum und seine weitere Entwicklung optimal geeignetes Gehirn. Und so ist jedes Kind, jedes auf seine besondere Weise, hoch begabt. Es startet seine Reise ins Leben mit einer Fülle an Möglichkeiten. Das Überangebot an Vernetzungsoptionen wird immer noch nicht richtig gewürdigt. Aufgabe von Erziehung kann es nur sein, jedem Kind eine Welt zu
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