Jedes Kind Kann Regeln Lernen
eng, daß bei einer räumlichen Trennung Ängste nicht ausgeschlossen werden können. Trotzdem müssen auch einem Baby oder Kleinkind mitunter Grenzen gesetzt werden. Einige Beispiele.
Christoph , 8 Monate alt, wird noch voll gestillt. Seit einiger Zeit hat er zwei Zähnchen. Bisher war das noch nie ein Problem, aber plötzlich beißt er beim Stillen mit seinen scharfen Zähnchen so fest zu, daß seine Mama vor Schmerz aufschreit. Christoph braucht eine Konsequenz, damit er die Regel lernen kann: "Beim Trinken muß ich mit meinen Zähnchen vorsichtig sein".
Seine Mutter wendet eine "Auszeit" an: Mit den Worten "Das tat furchtbar weh!" nimmt sie ihn sofort von der Brust und legt ihn auf seine Krabbeldecke. Einige Minuten lang wendet sie sich ab und beachtet Christoph nicht, obwohl er auf seiner
Krabbeldecke weint. Nach wenigen Minuten nimmt sie ihn auf den Arm, schaut ihn an und sagt: "Jetzt versuchen wir es noch mal. Sei aber schön vorsichtig!" - Christoph trinkt diesmal sanft und vorsichtig.
Wenn Christoph noch einmal beißt, wird seine Mutter ihn wieder sofort auf die Krabbeldecke legen und ihm eine Zeitlang keine Beachtung schenken. Wieder wartet sie einige Minuten, bis sie ihn wieder anlegt.
Ein weiteres Beispiel:
Die Geschichte von Paul, 8 Monate alt, kennen Sie bereits aus dem ersten Kapitel. Pauls Eltern waren verzweifelt, weil ihr Sohn äußerst unzufrieden war und mehrere Stunden am Tag schrie, obwohl sich seine Mutter pausenlos intensiv mit ihm beschäftigte. Paul brauchte alle paar Minuten eine andere Attraktion, damit er für kurze Zeit zufrieden war.
Mit den Eltern wurde ich schnell einig, daß Paul eine neue Regel lernen mußte: "Ich muß mich jeden Tag zur selben Zeit eine Weile allein beschäftigen. Meine Mama hat in dieser Zeit etwas anderes zu tun."
Wie konnte er diese Regel lernen? Er war noch nicht ein Jahr alt. Seine Mutter konnte ihn nicht einfach in sein Zimmer bringen und sagen: "Du spielst jetzt alleine". Nach dem gemeinsamen Frühstück war Pauls Laune in der Regel noch am besten. Seine Mutter beschloß, von nun an während dieser Zeit zu spülen und die Küche aufzuräumen. Sie setzte Paul auf den Fußboden, bot ihm einige Gegenstände aus der Küche (z.B. Schneebesen und Holzlöffel) zum Spielen an, ging zu ihm herunter in die Hocke, schaute ihn an und sagte: "Ich muß jetzt die Küche aufräumen." Sie war fest entschlossen, sich während der folgenden 10 Minuten in erster Linie der Hausarbeit zu widmen. Paul durfte zwar in ihrer Nähe sein, sollte aber nicht im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stehen.
Wie erwartet, feuerte Paul nach einer Minute den Schneebesen in die Ecke, zog sich heulend an den Beinen seiner Mama hoch und wollte auf den Arm. Er war es gewohnt, immer sofort seinen Willen zu bekommen. Es passierte aber etwas, womit
Paul gar nicht gerechnet hatte. Seine Mama gab ihm eine Auszeit: Sie nahm ihn und setzte ihn ein Stück weiter weg wieder auf den Fußboden mit den Worten: "Ich muß jetzt die Küche auf räumen." Paul war empört. Er steigerte seine Lautstärke und krabbelte sofort zu Mamis Beinen zurück. Seine Mama tat wieder genau dasselbe wie beim ersten Mal: Sie nahm ihn, setzte ihn ein Stück von sich weg auf den Fußboden und sagte: "Ich muß jetzt die Küche aufräumen, mein Schatz ("kaputte Schallplatte"). Danach kann ich wieder mit dir spielen". Das Spiel wiederholte sich noch einmal.
Beim nächsten Mal entschied sich Pauls Mutter - wie vorher besprochen - einen Schritt weiter zu gehen: Paul wurde in den Laufstall gesetzt. Er konnte seine Mutter von dort aus sehen. Das hinderte ihn nicht daran, sich schreiend an den Gitterstäben hochzuziehen. Seine Mama setzte ihre Hausarbeit unbeirrt fort, obwohl sich von Pauls Geschrei ihr Magen zusammenzog. Alle 3 Minuten wandte sie sich Paul zu und sagte: "Ich muß erst die Küche aufräumen, dann kann ich wieder mit dir spielen." - Sobald die 10 Minuten um waren, schenkte sie Paul wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Sie war erleichtert und stolz, daß sie durchgehalten hatte, auch wenn anfangs bei ihrer Hausarbeit nicht viel herauskam.
Auf genau diese Weise handelte Pauls Mutter in den folgenden Tagen. Jedesmal nahm sie sich vorher genau vor, was sie in dieser Zeit tun wollte - aufräumen, Zeitung lesen, selbst zu Ende frühstücken. Allmählich verlängerte sie die Zeit von 10 auf 30 Minuten. Schon am dritten Tag hörte Paul innerhalb der "Auszeit" von selbst auf zu weinen. Er saß tatsächlich im Laufstall
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