Jedes Kind kann richtig essen
Mütter waren während der ersten sechs bis sieben Monate mit dem Essverhalten ihrer Kinder zufrieden. Die Babys wurden fast alle noch gestillt.
Aber wenn die Kinder älter werden, ändern viele Eltern ihre Meinung.
Plötzlich behaupten sie: »Mein Kind isst zu wenig! Mein Kind ist zu dünn!«
Nach dem zweiten Lebensjahr ihres Kindes behaupteten das immer mehr Eltern, bei den Vier- bis Fünfjährigen sind es zwanzig Prozent! Wie Sie mittlerweile wissen, ist das fast immer eine falsche Annahme. All diese Eltern sind in Versuchung, zu viel zu tun und Druck auszuüben. Die meisten von ihnen tun es auch. Wie kommen nur so viele Eltern auf die abwegige Idee, ihr Kind esse nicht genug? Verschiedene Ursachen können eine Rolle spielen.
Der Suppen-Kaspar
Kennen Sie noch »Die Geschichte vom Suppen-Kaspar« aus dem 1845 erstmals erschienenen Buch vom »Struwwelpeter«? In einer der Episoden will ein kerngesunder Junge mit roten Backen plötzlich nicht mehr essen: Zur Erinnerung zitiere ich hier die ersten Zeilen:
»Der Kaspar, der war kerngesund, ein dicker Bub und kugelrund, er hatte Backen rot und frisch; die Suppe aß er hübsch bei Tisch.
Doch einmal fing er an zu schrein:
»Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess ich nicht!«
Der am Anfang noch »kugelrunde« Junge magert zusehends ab, ist zum Schluss nur noch »wie ein Fädchen« und fällt am fünften Tag tot um.
Hat man Ihnen die Geschichte vom Suppen-Kaspar früher auch vorgelesen? Haben Sie sie geglaubt? Spuken solche Geschichten den Eltern heute noch im Kopf herum? Haben deshalb so viele junge Eltern Angst, ihr Kind würde nicht genug essen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Suppen-Kaspar aus dem »Struwwelpeter«-Buch so einen starken Einfluss hat.
Wahrscheinlich ist es umgekehrt. In der Geschichte vom Suppen-Kaspar werden Vorurteile und Ängste zum Thema Essen auf die Spitze getrieben, die Eltern schon seit Generationen verfolgen – und die noch nie so falsch waren wie heute!
Eine schwere Krankheit – bei Jugendlichen gehört auch die Magersucht dazu – kann die Ursache für ausdauerndes Nichtessen sein. Die muss gefunden und behandelt werden, Druck und Zwang sind nicht hilfreich. Verhungern »aus Trotz« ist nicht möglich.
Es scheint eine menschliche Urangst zu sein, dass das eigene Kind verhungern könnte. In Zeiten der Armut und der schwierigen Nahrungsbeschaffung – denken Sie nur wenige Generationen zurück – war diese Angst sicherlich begründet und sinnvoll. Sie brachte die Eltern dazu, alle Anstrengungen zu mobilisieren, um ihren kleinen Kindern genug zu essen zu geben. Heute ist diese Angst aber nicht mehr hilfreich und lebensnotwendig, sondern hinderlich.
→ Vorurteile und Ängste, die Sie getrost vergessen können
Vorurteile und Ängste
Tatsachen
»Ein gesundes Kind ist ›kugelrund‹ und hat rote Backen.«
Ein blasses, dünnes Kind kann ebenso gesund sein.
»Ein Kind, das nicht isst, ist böse und wird über kurz oder lang dafür bestraft.«
Essen oder Nichtessen hat mit Hungrig und Satt zu tun. Strafen oder Belohnungen für Essen oder Nichtessen sind sinnlos.
»Wenn ein Kind nicht essen will, verhungert es innerhalb weniger Tage.«
Kinder halten viele Tage ohne Nahrung aus, etwa bei Krankheit. Danach nehmen sie schnell wieder zu.
»Kinder können aus Trotz verhungern.«
Ein gesundes Kind, das genug zu essen angeboten bekommt, kann nicht verhungern.
Hilfreiches Wissen
Eine andere Ursache für die so verbreitete falsche Annahme »Mein Kind isst zu wenig« ist: Die Eltern wissen normalerweise nicht in allen Einzelheiten darüber Bescheid, wie sich der Körper eines Kindes im Laufe der Monate und Jahre entwickelt. Sie beobachten, wie wenig ihr Kind isst, und machen sich unnötig Sorgen.
Versuchen Sie einmal folgende Fragen zu beantworten:
• Wie viel Prozent seines Körpergewichts nimmt ein Säugling pro Monat im ersten Lebensjahr zu?
• Wie viel Prozent seines Körpergewichts nimmt ein Kleinkind pro Monat ab Ende des zweiten Lebensjahres zu?
Die Antworten: Im ersten Lebensjahr nimmt ein Säugling noch jeden Monat rund zehn Prozent seines Körpergewichts zu. Ab Ende des zweiten Lebensjahres ist es nur noch ein Prozent.
Hätten Sie das gedacht? Erscheint es Ihnen nun logischer, dass ein Kind dann auch wesentlich weniger Appetit hat, obwohl es größer geworden ist?
An diese Zusammenhänge denken viele Eltern nicht.
Der »Babyspeck« wird immer weniger, bis mit
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