Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc

Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc

Titel: Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: mulder43
Vom Netzwerk:
Und ich hab dauernd gedacht, er ist sauer auf mich, und mir ist kalt, und ich krieg meine Hühnerflügel mit Pommes frites nicht. Und dass ich nicht mit den ändern essen gehen kann.« Tränen liefen ihm über die Wangen. Sachs hätte ihn am liebsten in die Arme geschlossen, doch sie blieb, wo sie war.
    »Erzähl weiter.« Sie nickte zu dem leeren Stuhl hin.
    »Rede mit deinem Vater. Was willst du ihm sagen?« Er schaute sie an, doch sie deutete auf den Stuhl. Schließlich wandte sich Garrett ihm zu.
    »Mir ist so kalt«, sagte er mit gepresster Stimme.
    »Mir ist kalt, und ich will in das Auto. Wieso will er mich nicht reinlassen?«
    »Nein, sag's ihm. Stell dir vor, dass er da sitzt.« Genau so drängte Rhyme sie, wenn sie sich bei der Tatortarbeit in den Täter hineinversetzen sollte. Es war furchtbar quälend, und so spürte sie nun auch die ganze Angst, die der Junge empfand. Dennoch ließ sie nicht locker.
    »Sag's ihm - sag es deinem Vater.« Unsicher blickte Garrett auf den alten Stuhl. Er beugte sich vor.
    »Ich...«
    »Mach schon, Garrett«, flüsterte Sachs.
    »Es ist okay. Ich pass auf dich auf. Sag's ihm.«
    »Ich wollte doch bloß mit euch zu Bennigan's!«, rief er schluchzend.
    »Das war alles. Mit euch essen gehen, wir alle zusammen. Ich wollte doch bloß mit. Wieso hast du mich nicht in das Auto gelassen? Du hast mich kommen sehen, aber du hast die Tür verriegelt. So spät war ich doch gar nicht dran!« Dann wurde Garrett wütend.
    »Du hast mich ausgesperrt! Du warst sauer auf mich, aber das war nicht gerecht. So schlimm ist es auch wieder nicht, wenn man zu spät kommt. Ich muss irgendwas anderes angestellt haben, sonst wärst du nicht so sauer gewesen. Aber was? Wieso hast du mich nicht mitgenommen? Sag mir doch, was ich gemacht habe.« Er brachte kaum noch einen Ton hervor.
    »Komm zurück und sag's mir. Komm zurück! Ich will es wissen. Was habe ich gemacht? Sag's mir, sag's mir.« Schluchzend sprang er auf, trat mit aller Kraft gegen den leeren Stuhl. Er flog quer durch den Raum und kippte um. Er packte ihn, schrie wie wild und schmetterte ihn immer wieder auf den Boden. Sachs zuckte unwillkürlich zurück, erschrak über den Wutanfall, den sie ausgelöst hatte. Wieder und immer wieder schlug er mit dem Stuhl auf den Boden ein, bis nur noch ein Haufen zertrümmertes Holz und zerfetztes Rattangeflecht übrig waren. Schließlich sank Garrett zu Boden, schlang sich zitternd und schluchzend die Arme um den Leib. Sachs stand auf und zog ihn an sich. Nach einer Weile hörte er auf zu weinen. Er stand auf, wischte sich das Gesicht an den Ärmeln ab.
    »Garrett«, flüsterte sie. Doch er schüttelte den Kopf.
    »Ich muss raus«, sagte er. Stieß die Tür auf und stürmte hinaus. Sie saß einen Moment lang da und überlegte sich, was sie tun sollte. Sachs war hundemüde, aber sie dachte nicht daran, sich auf die Matte zu legen, die er für sie liegen gelassen hatte, und zu schlafen. Sie blies die Laterne aus, nahm die Stofffetzen von den Fenstern und setzte sich in den muffigen Lehnsessel. Sie beugte sich vor, roch den durchdringenden Duft der Zitronenblätter und betrachtete die Silhouette des Jungen, der vornüber gekrümmt auf einem Baumstumpf saß und wie gebannt auf die Glühwürmchen starrte, die rundum im Wald tanzten.

... Zweiunddreißig
    »Das glaube ich nicht«, murmelte Lincoln Rhyme. Er hatte gerade mit der wütenden Lucy Kerr gesprochen und erfahren, dass Sachs unter der Hobeth Bridge mehrere Schüsse auf einen Deputy abgegeben hatte.
    »Das glaube ich nicht«, wiederholte er flüsternd, an Thom gewandt. Der Betreuer war ein Meister im Umgang mit körperlichen Gebrechen und seelischen Schäden, die aus körperlichen Gebrechen erwuchsen. Doch das hier war etwas anderes, viel schlimmer, und dazu fiel ihm nur ein:
    »Es war eine Verwechslung. MUSS es sein. Amelia würde so was nicht tun.«
    »Nein, nie«, flüsterte Rhyme. Diesmal wandte er sich an Ben.
    »Auf keinen Fall. Nicht einmal, um sie einzuschüchtern.« Er sagte sich, dass sie niemals auf einen Kollegen schießen würde, nicht einmal, um ihn abzuschrecken. Doch er musste auch daran denken, was Menschen aus schierer Verzweiflung fertig brachten. An die aberwitzigsten Risiken, die sie eingingen. (Ach, Sachs, warum musst du nur so impulsiv und stur sein? Warum musst du mir so ähnlich sein?) Bell war in seinem Büro auf der anderen Seite des Flurs. Rhyme konnte hören, wie er am Telefon Süßholz raspelte. Vermutlich waren Frau und

Weitere Kostenlose Bücher