Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
Doch dann sagte der Mann verlegen und mit hoher Stimme:
»Ich bin Ben.« Die drei Männer starrten ihn an, während er betreten zu Rhy-mes Rollstuhl und auf dessen Beine blickte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, sagte Bell.
»Na ja, ich suche einen Mr. Bell.«
»Ich bin Sheriff Bell.« Noch immer betrachtete er verlegen Rhymes Beine. Er wandte rasch den Blick ab, räusperte sich dann und schluckte.
»Oh, na ja, also, ich bin Lucy Kerrs Neffe?« Es klang eher nach einer Frage als nach einer Vorstellung.
»Ah, mein forensischer Assistent!«, sagte Rhyme.
»Ausgezeichnet! Gerade zur rechten Zeit.« Wieder ein Blick auf die Beine, auf den Rollstuhl.
»Tante Lucy hat nicht gesagt...« Was kommt jetzt?, fragte sich Rhyme.
»...hat nichts von Forensik gesagt«, murmelte er.
»Ich bin bloß Student, Doktorand an der UNC in Avery. Ähm, was meinen Sie mit >gerade zur rechten Zeit<, Sir?« Die Frage war an Rhyme gerichtet, doch Ben schaute den Sheriff an.
»Ich meine damit: Gehen Sie rüber zu dem Tisch da. Ich erwarte jeden Moment Proben, und Sie müssen mir bei der Untersuchung helfen.«
»Proben... Okay. Um was für Fische handelt es sich?«, fragte er Bell.
»Fische?«, entgegnete Rhyme.
»Fische?«
»Es ist so, Sir«, erklärte der junge Mann leise, den Blick nach wie vor auf Bell geheftet,
»dass ich gern aushelfe, aber ich muss Ihnen sagen, dass meine Erfahrung ziemlich begrenzt ist.«
»Hier geht es nicht um Fische. Hier geht es um Proben von einem Tatort. Was haben Sie denn gedacht?«
»Tatort? Na ja, ich weiß nicht«, erklärte Ben dem Sheriff.
»Sie können ruhig mit mir sprechen«, wies Rhyme ihn zurecht. Der Mann lief feuerrot an und riss die Augen auf. Sein Kopf schien förmlich zu zittern, als er sich dazu zwang, Rhyme anzublicken.
»Ich wollte bloß... ich meine, er ist der Sheriff.«
»Aber Lincoln schmeißt hier den Laden«, sagte Bell.
»Er ist ein forensischer Wissenschaftler aus New York. Er hilft uns hier.«
»Klar.« Die Augen auf den Rollstuhl gerichtet, auf Rhymes Beine, auf die Strohhalmsteuerung. Wieder zu Boden, wo es sicherer war. Rhyme stellte fest, dass er den Mann hasste, der hier so tat, als ob er eine Jahrmarktsmonstrosität der absonderlichsten Art wäre. Und teilweise hasste er auch Amelia Sachs - weil sie dieses ganze Ablenkungsmanöver eingefädelt und ihn von seinen Haifischzellen und Dr. Weavers Händen weggelotst hatte.
»Na ja, Sir -«
»Lincoln tut's auch.«
»Die Sache ist die, dass ich auf Meeressoziozoologie spezialisiert bin.«
»Was ist das?«, fragte Rhyme unwirsch.
»Im Wesentlichen geht es dabei um das Verhalten von Meerestieren.« Na klasse, dachte Rhyme. Ich kriege nicht nur einen Kerl, der eine Krüppelphobie hat, sondern obendrein auch noch Fischpsychologe ist.
»Nun ja, das spielt keine Rolle. Sie sind Wissenschaftler. Prinzipien sind Prinzipien. Protokolle sind Protokolle. Haben Sie schon mal einen Gaschromatographen bedient?«
»Ja, Sir.«
»Und Stereo-und Vergleichsmikroskope?« Ein bestätigendes Nicken, wenn auch nicht so nachdrücklich, wie Rhyme es sich gewünscht hätte.
»Aber« - er schaute einen Moment lang zu Bell, wandte sich dann gehorsam wieder Rhyme zu -
»Tante Lucy hat mich bloß gebeten, kurz vorbeizuschauen. Ich hab nicht gewusst, dass sie gemeint hat, ich soll Ihnen bei einem Fall helfen... Ich bin mir wirklich nicht sicher... ich meine, ich habe Vorlesungen -«
»Ben, Sie müssen uns helfen«, sagte Rhyme barsch.
»Garrett Hanion«, erklärte der Sheriff. Es dauerte einen Moment, bis bei ihm der Groschen fiel.
»Oh, der Junge aus Blackwater Landing.« Der Sheriff berichtete ihm von den Entführungen und dem Hornissenangriff auf Ed Schaeffer.
»Herrje, das mit Ed tut mir Leid«, sagte Ben.
»Ich hab ihn bei Tante Lucy mal kennen gelernt und -«
»Daher brauchen wir Sie«, sagte Rhyme, der das Gespräch wieder in die rechte Bahn lenken wollte.
»Wir haben keinen Schimmer, wohin er mit Lydia gegangen ist«, fuhr der Sheriff fort.
»Und wir haben so gut wie keine Zeit mehr, wenn wir die Frauen retten wollen. Und, na ja, wie Sie ja sehen -Mr. Rhyme braucht jemand, der ihm hilft.«
»Na ja...« Ein kurzer Blick in Rhymes Richtung, aber nicht auf ihn.
»Ich hab bald eine Prüfung. Ich bin noch in der Ausbildung und so. Wie schon gesagt.«
»Wir haben wirklich keine andere Wahl, Ben«, sagte Rhyme geduldig.
»Garrett hat drei Stunden Vorsprung, und er könnte jederzeit eines der Opfer töten - wenn er's nicht bereits
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